leipzigart KUNSTJOURNAL
MYSTERIEN? Weiblich/männlich...
Nancy Spero und Leon Golub mit ortsspezifischen Installationen im Festspielhaus Hellerau
Im Juni gab es hier im Festpielhaus eine Aufführung mit Namen "Masculine Mysteries". Hierbei standen, nicht körperlich anwesend zwar, eine Frau und eigentlich deren vermeintlich undurchdringliche Geheimnisse im Mittelpunkt. Solche und andere männliche Mysterienspiele in mehr oder viel weniger harmloser Form haben hier im Hause Tradition.
So war im Juli 1913 einer der ersten theatralen Höhepunkte im Festpielhaus die - für damalige Verhältnisse experimentelle - Aufführung von Christoph Willibald Glucks Oper "Orpheus und Eurydike". Die französische Philosophin Helene Cixous nennt diese Oper "ganz um die Laute Eu-rydi-ke herum komponiert" und analysiert in einer ihrer Schriften die Person Eurydikes. Wer ist das?
Wir wissen manches über Gluck, über Orpheus, wir wissen über Rilke - allesamt fasziniert von dieser Frau. Tatsächlich aber bleibt Eurydike von kurzen Auftritten abgesehen, ein idealisiertes Schattenwesen - auf Gedeih und Verderb den Aktivitäten von Männern ausgeliefert. Eurydike ist ein Objekt der Sehnsucht, eine anmutige Staffagefigur der Unterwelt. Ein Nichts, ein Name und die schönste Arie ist sowieso dem irrenden Orpheus vorbehalten.
Welch' eine grandiose Feier für ein einziges weibliches Wesen ! so könnten wir argumentieren. Allein, um diese Eurydike geht es nicht wirklich! Eurydike ist Vorwand, sie ist nur der Name für einen Initiationsritus diverser männlicher Kunstschaffender. Eurydike wird ganz treffend metaphorisch in der Unterwelt festgesetzt, in Passivität gehalten und kurzzeitig belebt, wenn es um die Profilierung maskulinen Schöpfertums geht. Die Griechin steht mit diesem Schicksal in der Menschheitsgeschichte bei weitem nicht alleine da, doch vor fast genau 85 Jahren wurde sie von dieser Bühne aus in ihren universellen Schlaf geschickt.
Und genau an diesem Punkt setzt Nancy Speros Arbeit ein, die eigentlich "THE RE-BIRTH OF VENUS" - "Die Wiedergeburt der Venus" heißen sollte, nun aber aus einleuchtenden Gründen zur "Wiedergeburt der Eurydike" geworden ist.
In Schriften der 70er Jahre fordert Helene Cixous eine Revision der Geschichtschreibung, die sich quer zur historischen Allgegenwart männlicher Macht zu stellen habe und die Anwesenheit von Frauen als Protagonistinnen des Lebens aufzuzeichnen. Und obgleich Nancy Spero von sich selbst sagte, sie habe Theorien "eher willkürlich und spekulativ" als weniger "systematisch und konsistent" betrachtet, verschwand Anfang der 70er Jahre das Abbild des Mannes gänzlich aus ihrem Arbeiten. Die Frauengestalten, die sie als Vorlagen für ihre Collagen und Stempeldrucke verwendet, widersetzen sich jeglicher linearen und chronologisch verordneten Geschichte. Und während die feministischen Theoretikerinnen auf der Suche nach einer spezifisch weiblichen Sprache waren: poetisch, kraftvoll und kämpferisch - während sie also mit ihren Texten eine derartige Sprache aufspüren wollten, setzte Nancy Spero dafür eine Symbolsprache ein, die den Theorien die Einsichtigkeit voraushat. Kriegerische Medusen, marschierende Vietnamesinnen, die keltische Fruchtbarkeitsgöttin Sheela - na -gig, Aboriginee-Symbole - um nur einen Bruchteil zu nennen.
Die Anwesenheit des Mannes manifestiert sich durch seine Abwesenheit.
Ein Herzstück der Installationen im Festspielhaus spricht besonders deutlich von diesem Phänomen. Es ist die "Ballade von der Judenhure Marie Sanders" (Bertolt Brecht) an der Stirnwand des Seitenstudios. Das berührende Bild der nackten, an einen Pfahl gefesselten Frau ist kein kunsthistorisches Zitat , sondern stammt von einem Photo, das ein Gestapo-Offizier bei sich zu tragen pflegte. Diese Synthese von Wort und Schrift verwendete Nancy Spero schon mehrmals für permanente Wandgestaltungen in Jüdischen Museen (z.B. in New York und in Wien).
Der inhaltlichen Bezüge ihrer Kunstwerke zur kurzen, aber wechselvollen Geschichte des Festpielhauses sind viele - tänzerische Gestalten nehmen den Geist der hier gelehrten Eurhythmie und des Tanzes auf. Genauso signifikant aber ist die Reaktion auf das Festspielhaus als Polizeischule während des Nationalsozialismus und als einer Kaserne der Sowjetarmee.
Indem die "Ballade von Marie Sanders" auf einzigartige Weise mit der Wand verschmilzt, scheint sie nicht nur auf ihre Entstehungsumstände zu verweisen, sondern unmittelbar dieser Zeit zu entstammen. Die Farbschichten der ruinösen Wände werden organisch in die Bildsprache von Nancy Speros Arbeiten einbezogen, so daß jede einzelne Frauengestalt die ihr ursprüngliche zeitliche Aura erhält oder wie ein Assistent sagte:
Wir haben nur die Schichten abgetragen und darunter die Bilder entdeckt. Speros Gestalten unterminieren das Geschehen durch ihre ironische Flüchtigkeit und das selbstgewisse Bewußtsein ihrer Dauerhaftigkeit, auch ohne in Stein gemeißelt zu sein.
Leon Golub nähert sich dem Machtgestus, der dieses Haus noch immer durchgeistert, mit ganz anderen Mitteln. Seit vielen Jahren legt er seinen Künstlerfinger in sogenannte 'offene Wunden' der Gesellschaft und bedient sich dazu unerschütterlich figurativer Mittel. Die Winde standen schlecht für Figuration, in den 50er, frühen 60er Jahren. Golub benutzte zwar die gewaltigen, erhabenen Leinwandformate seiner berühmten Kollegen, bedeckte diesselben jedoch nicht mit abstrakt-expressiven Formballungen. Seine Forderung nach dem Künstler als einem engagierten Mitglied der Gesellschaft ließ Beliebigkeit einfach nicht zu. Golubs Suche nach Symptomen menschlicher Gewalt ist dabei genausowenig eine historische Grenze gesetzt wie der von Nancy Spero nach weiblicher Aktivität. Seine Protagonisten -und tatsächlich herrscht männliche Gewalt in Golubs Bildwelt vor- agieren übermächtig, ungelenk und bedrohlich. Auf rohen, ungrundierten Leinwänden spielen sich Szenen ab, die nicht in jedem Falle physische Tätlichkeiten zum Inhalt haben. Die Geladenheit des Blickes einer farbigen Frau aus den Augenwinkeln auf den Weißen, der lässig an einer Mauer lehnt; die selbstgefällige Präsenz zweier angetrunkener Patrioten, jeden Moment zum Zuschlagen bereit - bei aller distanzierten Ironie, die bei Golub gern aufflackert, sind dies schillernde Spielarten und Vorformen von brutalen Ausbrüchen.
So bewegt sich der Maler als Feldforscher einmal horizontal in seiner bzw. in unserer Gegenwart und dann wieder längs in der Historie.
In den Rauminstallationen aus bedruckten Folien, die Golub seit 1991 einrichtet, treffen sich diese beiden Bewegungen und schieben sich nun auch formal dreidimensional übereinander.
Der Angriff auf das Wohlbefinden der Betrachter ist bereits in den Gemälden, die nach wie vor entstehen, enorm. Viele seiner Figuren, gleich ob Täter oder Opfer, werden im Bereich der Füße abgeschnitten und verlängern sich damit, als beunruhigende Möglichkeit, in unsere Wirklichkeit hinein. Golubs Bildraum ist kein in sich abgeschlossenes ästhetisches Ensemble, das distanzierte Anschauung erlaubt. Mit der Dreidimensionalität seiner "transparencies" geht er noch einen Schritt weiter ins Antlitz der Öffentlichkeit hinein. Ausschnitte aus eigenen Gemälden, stark vergrößert und verzerrt teilweise, treffen sich auf diese Art mit Abbildern von Terrorakten aus El Salvador und aus dem antiken Mesopotamien.
Das Fehlen von eigenen Kommentaren zum einen und Gewaltverherrlichung zum anderen oder gar moralisierende Propaganda; all' das sind Vorwürfe, die Leon Golubs Werken bereits gemacht worden sind. Derartige Reaktionen verraten deutlich, daß seine Arbeiten Herausforderungen sind, denen kunstintern oder ästhetisch nicht ausreichend begegnet werden kann.
Im Hauptraum der Installation hier werden wir von den Greueln in die Mitte genommen. Von einem uns unbekannten Zufallsprinzip gesteuert, ragen die Folien in den Raum, nähern sich wie die Stacheln eines Folterinstrumentes. Und obwohl die Bilder und ihre planlose Fülle uns durch Medien wohlbekannt sind, treffen Golubs präzise Neuordnungen einen Nerv.
Die Bilder schieben sich ungefragt zwischen uns und unsere Mitbetrachterinnen - die Möglichkeit von Gewalthandlungen besteht unabhängig von Zeit und Raum.
Ein anderer New Yorker Künstler hat mit seinen halbtransparenten gläsernen Pavillonen den Blick für unser Verhältnis zum Mitwesen schärfen wollen und hat die anonyme Großstadt als möglichen Ort von Idylle gezeigt - Dan Graham. Diese Idee von Reaktion und Interaktion nehmen die durchsichtigen Wände von Golub unbedingt auf - eine ästhetisierte Erholungsphase allerdings findet nicht statt. Die Einblendungen, Brechungen und Spiegelungen hier beziehen uns in ein weitaus weniger wünschenswertes Ereignis ein.
Golub sieht sich selbst als einen Reporter, der den Abstumpfungs- bzw. Schutzschildeffekt medialer Information überspringt.
Seine Reportagen bieten in der Tat weder Beurteilungen und Einschätzungen geschweige denn Lösungen an. In ihrer Dichte der formalen Behandlung und ihrer Nichtachtung von Epochen blähen sie sich zu einer Monstrosität, die jede zusätzliche Stellungnahme erübrigt.
Der hier im Hause gegebene einzigartige Blickbezug zwischen den ambivalenten Fresken der Roten Armee hindurch, schneidet Leon Golubs Installation "Image Violence" - "Bild Gewalt" - "GewaltBild".
Machtgestus, nach so vielen Jahren durchaus gelöst von seiner Ursache zu betrachten, gebärdet sich dominant, auch in diesem - ursprünglich nur einer hehren Vision von Kunst geweihten - Gemäuer.
Andere Spuren, nicht weniger beherrschend in ihrem Anspruch, hat die Zeit verwischt. Golubs Transparente zoomen diese Vergangenheiten wieder genau in unser Blickfeld, ganz nah heran und zeigen die Bedrohung, der der Elfenbeinturm Kunst ausgesetzt ist - und die daraus erwachsende Verantwortung.
Und das ist genausoviel oder genausowenig moralisierend zu verstehen wie Nancy Speros ultimative Feier von Weiblichkeit in allem Schattierungen. Besonders in der räumlichen Nähe ihrer Arbeiten zu denen von Leon Golub werden wir gewahr, mit welch' subversiver Leichtigkeit und Ironie Speros bedacht plazierte Frauengestalten maskulines Gebaren penetrieren. Eurydike ist aus dem Schlaf der Passivität erwacht und hat sich in eine Fruchtbarkeitsgöttin und gleichzeitig in eine Dildo-Tänzerin verwandelt...
Susanne Altmann