leipzigart KUNSTJOURNAL
GIBT ES NOCH DIE LEIPZIGER LICHTDRUCKWERKSTATT ?
Ein bis heute qualitativ nicht überbotenes Druckverfahren zur
Wiedergabe von Graphiken und Photographien, zur originalgetreuen
Faksimilierung ist der Lichtdruck. Mit keiner anderen Technik
können so differenzierte, fein abgestufte Tonwerte wiedergegeben
werden und die Farbechtheit des Lichtdrucks ist unübertroffen.
Auch die modernsten, computergestützten Reproduktionstechniken
erreichen die Originaltreue des Lichtdrucks nicht.
Mit bis zu 12 Farben entsteht ein Lichtdruck und auch Experten haben
Schwierigkeiten, irgendwelche Farbabweichungen zwischen Original und
Reproduktion festzustellen.
Der Lichtdruck ist eine direktes, rasterloses Flachdruckverfahren,
bei dem eine einseitig mattierte Spiegelglasplatte als
Druckträger mit einer lichtempfindlichen Gelatineschicht bedeckt
wird. Die sogenannten Runzelkörner, gehärtete und damit
trockene Stellen dieser Schicht, nehmen die Druckfarbe an,
während sie der ungehärtete, noch feuchte Teil
abstößt. Eine Photographie wird also nicht durch
technische Hilfssysteme wie etwa ein Raster druckfähig gemacht
&endash; sie wird direkt gedruckt, denn sie befindet sich
unverfremdet auf der Druckplatte.
Das Herausfinden der richtigen Rezeptur für die Zusammensetzung
der Schicht und der jeweils notwendigen Belichtungszeit, das
Einrichten und Manipulieren des Druckvorgangs - das alles bedarf
schon einer gewissen Zauberei und es heißt, daß ein
halbes Leben erst den perfekten Drucker hervorbringt.
"Wer ein perfekt gebautes Auto haben möchte, würde an einen Mercedes denken, wer eine perfekte Kamera braucht, würde sich für eine Leica entscheiden. Und genauso wird man die Leipziger Lichtdruck-Werkstatt ... in Betracht ziehen, wenn man perfekte Reproduktionen von wertvollen originalen Manuskripten, Zeichnungen, Drucken oder Photographien braucht." (George T. Webber, The Postcard Album, 8/1994)
Und der Lichtdruck eignet sich nicht nur zur Faksimilierung
wertvoller Originale, für die Reproduktion von Stichen,
Lithographien, Zeichnungen, Noten- oder Schriftautographen. Die
spezielle Technik ermöglicht auch die Entstehung von
Originalgraphiken, wenn Künstler direkt bei der
Druckformenherstellung, beim Einrichten und Drucken beteiligt
sind.
Auf Initative der Leipziger Werkstatt werden gerade für diesen
Zweck völlig neue Wege bei der Weiterentwicklung der
historischen Technik beschritten.
Diese Lichtdruck-Originalgraphiken entstehen meist nach dem Prinzip
der ăverlorenen Form" und damit ist der Druck nie wiederholbar.
Künstler zeichnen, malen oder belichten direkt in die
Gelatineschicht, es existiert keine Vorlage, die reproduziert werden
könnte und so ist erst der fertige Druck das künstlerische
Original.
Im Leipziger Lichtdruck entstanden inzwischen eine ganze Reihe von
Editionen, darunter Farbgraphiken der sächsischen Künstler
Olaf Wegewitz, Frieder Heinze, Rolf Kuhrt. Künstler des In- und
Auslandes hinterließen ihre Spuren in der Werkstatt. Jacob
Mattner, Berlin, bediente sich der Technik auf ganz eigene,
einzigartige Weise: das Halogenlicht verschiedener Lampen ließ
er durch eine dreidimensionale Glaskonstruktion brechen, welche
direkt auf dem beschichteten Druckträger aufgebaut war.
Natürlich können heute eine Reihe von
lichtdruckspezifischen Arbeiten mit modernen
Bildbearbeitungsprogrammen und Druckverfahren schneller und
wesentlich billiger ausgeführt werden und so nimmt es nicht
Wunder, daß in Europa und weltweit nur noch eine Handvoll
Lichtdruckwerkstätten existieren. In Deutschland ist der
Leipziger Lichtdruck inzwischen die einzige arbeitsfähige
Werkstatt.
Wie die heute wieder auferstandene Offizin Haag-Drugulin ist die
Lichtdruckwerkstatt ein gerettetes Sahnestückchen aus dem
ehemaligen parteieigenen Großbetrieb Offizin Andersen Nexö
(OAN), welchem die DDR-Machthaber auch die frühere Firma C.G.
Röder einverleibten, die seit 1888 Lichtdrucke herstellte.
Die einstigen Nexö-Lichtdrucker Achim Müller und Udo Scholz
kauften 1991 die noch verbliebenen Maschinen und das Beiwerk des
Lichtdrucks und zogen schließlich 1994 aus dem alten
Röderhaus in der Perthesstraße 3 in die Leipziger
Nonnenstraße 38, in das gleiche Gebäude, in welchem auch
das Werkstattmuseum für Druckkunst sowie die Offizin
Haag-Drugulin beheimatet sind. Dabei fanden sie nicht zuletzt
großzügige Unterstützung durch eine Bank, die sich
für den teuren Transport finanziell engagierte - erstaunlich,
interessieren sich diese Institute doch oft mehr für Aktionen,
die ihr Image in breiterer Öffentlichkeit aufbessern sollen:
für Sport, für flache Volksbelustigung, für
vermeindlich wirkungsvolle, weil von einflußreichen
Herrschaften beachtete Veranstaltungen - vielleicht war es letzteres,
handelt es sich doch um den Erhalt der seit 1994 als sächsisches
Kulturdenkmal geadelten Werkstatt.
Zwischen den gewaltigen Maschinen auf der Lichtdrucketage im Hinterhof des alten Industriegebäudes geht es jetzt sehr ruhig zu. Sind die einmal jährlich mit dem Verein "Leipziger Lichtdruck-Kunst" veranstalteten Graphik-Workshops mit internationaler Künstler-Beteiligung beendet, wird die ganze Misere der Branche deutlich: öffentliche Kassen sind leer, Privatleute geben heute kaum Geld für Kunst aus; Verleger, Galeristen und Künstler haben nicht genug Einnahmen, um teure Graphikauflagen in Auftrag geben zu können (glaubt man Statistiken, beträgt das durchschnittliche Bruttoeinkommen freiberuflicher ostdeutscher Künstler, ob bildender oder darstellender, kaum mehr als 1000 DM &endash; es sind also doch alles Lebenskünstler, das war ja schon immer klar), Museen, Bibliotheken und Archive, einst die wichtigsten Stammkunden des Lichtdrucks, haben immer weniger Mittel, um Faksimiles ihrer wertvollsten Sammelstücke anfertigen zu lassen und sie auf diese Weise einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen zu können, während die kulturgeschichtlichen Unikate vor Umwelteinflüssen geschützt werden.
In Vorzugsaugaben der anläßlich der 6. sowie 7. INTERNATIONALEN AUSSTELLUNG FÜR KÜNSTLERBÜCHER UND HANDPRESSENDRUCKE LEIPZIG (IAKH) 1997 und 1998 herausgegebenen Jahresschriften sind auch Originalgraphiken enthalten, die in der Leipziger Lichtdruck-Werkstatt eigens für diese IAKH-Editionen entstanden sind. Mögen sie dazu beitragen, Aufmerksamkeit und Neugier für eine neue alte Technik zu wecken.
Jost Braun
(Die IAKH-Jahresschriften werden herausgegeben vom Verlag EDITION LEBENSRETTER, Lützowstraße 23, 04157 Leipzig. Beachten Sie dazu auch das Angebot im leipzigart on-line-Shop! Ausgewählte Lichtdruck-Originalgraphiken aus der Leipziger Werkstatt sind übrigens in der Leipziger Globus Galerie - siehe Kunstführer - erhältlich.)