KATHARINA PIEPER

SCHRIFTGESTALTUNG AN DER HOCHSCHULE FÜR GRAFIK UND BUCHKUNST LEIPZIG

Temporäre online-Veröffentlichung eines Beitrages der aktuellen 8. Jahresschrift für Künstlerbücher und Handpressendrucke

Legendäres Unterrichtsfach an einer legendären Hochschule: Schriftgestaltung. Frau Prof. Hildegard Korger, Jahrgang 1935, ist seit 1968 Lehrerin für dieses Fach. Erst 1992, nach der Wende, wurde sie offiziell Professorin. In diesem Jahre wird sie emeritieren, und so haben wir es zum Anlaß genommen, an dieser Stelle über ihr Lebenswerk zu schreiben.

Ihre Lehre ist, wie man es kaum anderswo in Deutschland noch findet, geprägt von ihrer qualifizierten Fachkenntnis in Theorie und Praxis und ihrer einzigartigen Art, dieses Wissen und Können strukturiert und detailliert zu vermitteln. Eine solide Ausbildung ist das Markenzeichen der Hochschule für Grafik und Buchkunst, und nicht umsonst kommen Studierende aus weiten Teilen des Landes, um hier Basiswissen zu erlernen, rund um das Thema Buch und die damit verbundenen Fächer.

Schrift - ein äußerst sensibles Medium, ein Kulturträger, wie er kostbarer nicht sein kann. «Kalligrafie», früher "angewandte Kunst" oder "Kunstgewerbe", hat nach Meinung von Frau Korger heute kaum noch eine Funktion. Wohl hätte sie diese, gäbe es an den Schulen eine gute Schriftausbildung und vor allem: qualifizierte Auftraggeber. Doch in der Ausbildung zum Grafik-Designer dominiert die Elektronik. Der Bildschirm ist zum alles bestimmenden Medium geworden, die Maßarbeit des sehenden Auges und der geschulten Hand ist nur noch zweitrangig. Programme, mit denen selbst Laien kinderleicht Typografie gestalten können, lassen so manchen Möchtegern-Designer zu typensetzerischen Höhenflügen emporschwingen. Analysiert man jedoch die formalästhetische Gestaltqualität dieser Ergüsse, stellt man fest, daß es an wichtigem Basiswissen fehlt.

Schriftschreiben und -zeichnen war an der HGB ein wichtiger Lehrgegenstand in der Ausbildung von Buchgestaltern und Grafik-Designern. Exemplarisch eignet er sich wie kein anderer, Gefühl für Proportionen auszubilden, Wissen und Erfahrung um die Wirkung von Form und Gegenform sowie die Beziehung von Figur zum Grund zu lernen, feine Differenzierungen zu erkennen und reinzeichnungstechnisch zu realisieren. Durch die Möglichkeiten elektronischer Technik und ihrer Nutzung sollte sich dies nicht ändern. Da beabsichtigt ist, Im Schriftunterricht Kreativität und Erfindungsreichtum zu fördern und Anspruch auf Qualitätsempfinden zu wahren, erfordert der Umgang mit der Letter mehr denn je ein umfassendes Wissen und Können. Gestaltungs- und Ästhetikprogramme sind ein hilfreiches Werkzeug, ersetzen jedoch nicht die spezifische Sensibilisierung und feinmotorische Abstimmung von Auge, Muskulatur und Gehirn.

Hildegard Korger: Alphabet, 1990

So war es unverzichtbar, im handwerklichen Teil des Grundstudiums Prototypen der wichtigsten Schriften von Hand zu erarbeiten. Dies erfordert äußerste Konzentration und viel Fleiß und ist ein Prozeß, der sich, wie das meiste, nicht in kurzer Zeit erfahren läßt. Nicht umsonst dauert eine solide Schriftausbildung einige Jahre. Als Gegengewicht vermittelt der Schriftunterricht aber auch eine experimentelle, intuitive Ausdrucksfähigkeit. Materialien werden erkundet und auf ihre ästhetische Brauchbarkeit untersucht, bis ein sicherer Einsatz erfolgen kann. Schreibend und zeichnend gestaltete Schrift ist aus dem Grafik-Design nicht wegzudenken. Immer wieder wird Typografie ergänzt durch persönliche, mitunter emotionale skripturale Elemente, die jenseits der Stereotypie und Sachlichkeit notwendig sind. Diese lassen sich beim Gestalten von Wortmarken, Buchstabenzeichen, Logos, oder Schriftzügen einbringen, welche wiederum auf Buchumschlägen, Plakaten, Verpackungen oder sogar im Zusammenhang mit Architektur zur Anwendung kommen. Das weite Feld der Schriftgestaltung kann bis hin zur Satzschriftentwicklung oder zur skripturalen Grafik und Malerei gehen.

Prof. Alber Kapr leistete einen außerordentlich großen Beitrag zur Aufbereitung des Lehrgegenstandes Schrift und Schriftgeschichte an der Leipziger Hochschule. Bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1983 förderte er den Schriftunterricht im Grundstudium mit großem Engagement, und seine Bücher wurden zu Standardwerken. Prof. Gert Wunderlich, sein Nachfolger, leitet seitdem in verantwortungsvoller Weise den Fachbereich und setzt sich unermüdlich für die Wahrung der Qualitätsnormen im Schriftunterricht ein.

Frau Prof. Hildegard Korger studierte nach einer Ausbildung an einer Fachschule für angewandte Kunst ab 1959 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Prägenden Einfluß auf ihr Schaffen hatte das Studium in der Fachklasse bei Prof. Albert Kapr. Nach dem Diplom war Hildegard Korger zunächst freischaffend als Gebrauchsgrafikerin tätig, und bereits1965 bekam sie eine Aspirantur an der HGB, wo sie 1968 Lehrerin für Schriftgestaltung im Grundstudium des Fachbereiches Buchkunst/Grafik-Design wurde. 1980 wurde sie Dozentin, 1992 Professorin. Ihr Buch "Schrift und Schreiben", welches unter dem Titel "Handbook of Type and Lettering" 1992 ins Englische übersetzt wurde, gilt als Standardwerk in der Schriftausbildung und hat seit seinem Erscheinungsjahr 1971 nichts von seiner Aktualität und seinem Niveau eingebüßt. Frau Korger entwarf viele Satzschriften für die Typoart in Dresden, darunter die Kis-Antiqua.

In ihrer langjährigen Praxis arbeitete sie insbesondere schriftgrafisch, kalligrafisch und in der Gebrauchsgrafik. Anfang der 90er Jahre hatte Hildegard Korger mehrfach Gastdozenturen an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig inne, von 1992 bis 94 zusätzlich eine Gastprofessur für den Schriftunterricht im Fachbereich Restaurierung an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden. Von 1976 bis 1984 war Frau Korger außerdem Beraterin für baugebundene Schrift beim Büro des Chefarchitekten der Stadt Leipzig und wirkte in Gremien der Denkmalspflege und der architekturbezogenen Kunst mit.

Viele inzwischen namhafte Künstler sind aus dem Unterricht von Frau Prof. Hildegard Korger hervorgegangen, wie beispielsweise Gudrun Hommers. Als Absolventin der HGB studierte sie bei Frau Korger und legte 1997 ihr Diplom ab. Im Rahmen ihrer Diplomarbeit entstand das Buch "Der handkolorierte Menschenfresser" (Text: A.C. Artmann) in einer Auflage von 40 Exemplaren (Format: 21 x 24,5 cm). Illustration, Buchgestaltung und Druck stammen von Frau Hommers, und für die künstlerische und grafische Qualität wurde sie von der Stiftung Buchkunst belohnt: ihr Buch zählt zu den "schönsten Büchern des Jahres". Es ist eine sehr gut gelungene Synthese aus kontrastreicher Zeichnung, pikanter handschriftlicher Inszenierung und spannender Gestaltung.

Katja Zwirnmann entwarf in ihrem 3. Studienjahr das Buch "Der Fluch der Kröte - Fluch der Kröte" (Text: Gustav Meyrink, Format: 17,3 x 17,3 cm). In sensibler und doch kraftvoller Weise kombinierte sie Zeichnung (sehr skurrile Kröten und Unken sowie ein Tausendfüßler) mit entsprechenden Schriftformen. Oft gehen Zeichnung und geschriebene Linie ineinander über, Form, Sprache und Inhalt verschmelzen miteinander.

Eine interessante Mischung aus handschriftlicher Gestaltung und bildnerischen Elementen entwarf Kati Linke. Im Grundstudium bei Frau Korger entstand das Büchlein "Limonade" mit einem Text von Michail Sostschenko. Phantasievoll und gut gestaltet, auch wenn es noch nicht die Souveränität und Formsicherheit der beiden oben beschriebenen Werke aufweisen kann.

Im Juni 1999 erscheint zum Schriftunterricht von Frau Prof. Hildegard Korger ein Katalog, herausgegeben von der HGB. Umfassend informiert Frau Korger mit Hilfe ihrer Studenten und 195 z.T. farbigen Abbildungen über ihren Unterricht.

Man darf gespannt sein, wie der Schriftunterricht nach ihrer Emeritierung weitergeht. Frau Korger hat mit ihrer Arbeit Meilensteine gelegt. Mit großem Wissen, handwerklichem Können und souveräner Formsicherheit verhalf sie Generationen von Studierenden zu Geschmacksempfinden und Traditionsbewußtsein im Umgang mit Schrift. Ohne Frau Korger wäre die Hochschule um eine große Kapazität ärmer gewesen.

Vielleicht könnte man ihr Lebenswerk in Kürze charakterisieren mit: Harter Einsatz - stille Größe.