leipzigart KUNSTJOURNAL
Offener Protestbrief freier Kunst- und Kulturschaffender in Leipzig an den Sächsischen Landtag
Wir, freie Kunst- und Kulturschaffende
Leipzigs, wenden uns entschieden gegen eine Politik, die Basiskultur
unmöglich macht und Kulturförderung auf Event-Subventionen
reduziert.
Der Freistaat Sachsen hat die Kultur in seiner Verfassung zum
Staatsziel erhoben. Wir fordern die Landesregierung deshalb auf, ihre
Förderpolitik zu korrigieren.
Erich Illtgen in seinem Hauptreferat zur Auftaktveranstaltung der Reihe "Kultur Zwo Vier" im September 1997 in Görlitz: Nun allerdings verschärft sich in den Städten ebenso wie in den Kulturrräumen eine Förderpraxis, die die stehenden Einrichtungen, insbesondere diejenigen in kommunaler Rechtsträgerschaft, gegenüber den Projekten und Initiativen freier Träger bevorzugt. Diese Tendenz trifft einen Bereich, der - pointiert formuliert - aus wenig Geld viel Kunst macht. Sie konterkariert die Bemühungen um bürgerschaftliches Engagement.
Herr Illtgen, Präsident des Sächsischen Landtages, hat in seiner Rede offenbar nicht vorausgeahnt, daß diese von ihm angeprangerte Praxis Ende 1998 zum Förderprinzip der von ihm repräsentierten höchsten Landesvertretung werden sollte: Die Regierungspräsidien der Städte Leipzig, Dresden und Chemnitz stellen für das Haushaltsjahr 1999 (und somit auch für das Jahr 2000) keine Mittel für die Förderung freier Kunst- und Kulturprojekte zur Verfügung. Die von freien Vereinen und Einzelpersonen eingereichten Anträge wurden abschlägig beschieden. Auch die Kulturstiftung Sachsen, 1999 und im Jahre 2000 vom Land Sachsen mit 1,8 Millionen DM bedacht, verschickte Ablehnungsbescheide.
In den Ablehnungsbescheiden des Regierungspräsidiums wird zudem empfohlen, die Anträge an die entsprechenden Kulturämter der Städte zu stellen, um eine Förderung aus den Mitteln des Kulturraums zu erhalten.Wie zynisch und makaber: Diese Empfehlung kommt Anfang Januar, wohl wissend, daß die Antragsfristen bereits im September des Vorjahres liegen und die Mittel aus der Kulturraumförderung längst beschlossene Sache und bis auf den letzten Pfennig vergeben sind. Auch die städtischen Haushalte können die Einschnitte bei der Landesförderung nicht abfangen.
Den Regierungspräsidien standen bislang rund 1 Millionen DM für die Förderung freier Kunst- und Kulturprojekte zur Verfügung. Diese 1 Millionen sind im Gesamthaushalt des Landes vielleicht nur ein Körnchen, im Etat eines einzelnen Leipziger Vereins bzw. einer Einzelperson bedeutet sein Anteil (der zum Teil bis zu 40 Prozent beträgt) das Wegfallen ganzer Projekte, das Wegbrechen von Basiskultur, die in ihrer Vielfalt einen wesentlichen Beitrag zur kulturellen Identität Leipzigs, des Regierungsbezirks und letztlich damit auch Sachsens beiträgt.
Die Unterzeichner: Struktur fokal, Lege Artis, Bund Sächsischer Puppentheater, LOFFT - Verein zur Förderung des Leipziger Off-Theaters, INSEL-Bühne, Poetisches Theater, Büro für Off-Theater, theater fact, Studiobühne Leipzig, Theater im Globus, großstadtKINDER e.V. im THEATRium, Frauenkultur e.V., Moritzbastei, Ines Krautwurst (Sängerin), Heike Albrecht (Tänzerin), Christine Hebestreit (Tänzerin), Jana Ressel (Tänzerin), Frank Schenke (Puppenspieler)
Was bedeutet eine Nichtförderung der Projekte durch das Regierungspräsidium?
Auch die städtischen Haushalte
können die Einschnitte bei der Landesförderung nicht
abfangen.
Denn der Wegfall der Fördermittel durch das
Regierungspräsidium bedeutet nicht nur Streichung von Mitteln,
sondern bedeutet unter den gegebenen Förderrichtlinien der Stadt
Leipzig, daß die gesamte Anteilsfinanzierung für die
einzelnen Projekte ins Nichts verschwindet oder besser, die
Fördergelder der Stadt reichen bei keinem der eingereichten
Projekte, so daß eine künstlerische Umsetzung nicht mehr
stattfinden kann.
Anteilsfinanzierung der Projekte würde nach den neuesten
Förderrichtlinien des Landes bedeuten, der Anteil des Landes
wird durch erhöhten Eigenanteil ersetzt. Dies ist bei keinem der
eingereichten Projekte vollständig möglich. Dies
läßt den Schluß zu: Fördergelder der Stadt
Leipzig müssen und werden zurückgezahlt.
Schon die vergangenen Jahre haben Leipzigs freie Künstler zur
Selbstausbeutung veranlaßt, teilweise wurde der Sparzwang zum
totalitären Ereignis. Weiter kann man nicht sparen, von jetzt an
wird weggespart.
Nehmen wir ein fiktives Projekt aus der darstellenden Kunst, das mit 15 000,00 DM veranschlagt war. Dann wäre die bisherige Anteilsfinanzierung in unserem fiktiven Beispiel:
5000,00 DM Eigenanteil
5000,00 DM Fördergelder der Stadt
5000,00 DM Fördergelder des Landes
Wer kann Ersatz für die fehlenden Summen
schaffen?
Das Stadtsäckel ist leer, die Künstler selbstausgebeutet,
die Zuschauer haben bezahlt ...
Ergo ... das Projekt kann nicht umgesetzt werden.
In Leipzig stirbt Kultur. Basiskultur in allen Bereichen.
Nehmen wir die Folgen nur am Beispiel konkreter großer Projekte:
Der großstadtKINDER e.V. macht im Leipziger Neubaugebiet Grünau
(THEATRium) seit vier Jahren sozial-integrative Theaterprojekte mit
Kindern und Jugendlichen und Inszenie- rungen für sie. 1998
fanden hier vier Kinder- und Jugendtheaterprojekte mit 60 Beteiligten
wöchentlich und fünf Inszenierungen bei einer
Kapazität von 65 Plätzen vor rund 6000 jungen Zuschauern
statt. Bereits in diesem Jahr mußten aufgrund nicht bewilligter
Mittel die Kosten reduziert werden.
Die Situation 1999 ist weitaus präkerer: Durch die Ablehnung der
beantragten Projektmittel (auch bei der Kulturstiftung Sachsen)
können, finanziert aus Spenden und Sachmitteln des Arbeitsamtes,
mit minimierten Kosten momentan lediglich zwei der konzipierten
Kinderstücke produziert werden. Was nach dem März 1999
folgt, ist ungewiß: Ob die bei Stiftungen beantragten Mittel
bewilligt werden, stellt sich erst im Mai des Jahres heraus. Wenn
auch hier Ablehnungen erfolgen, können weder die vier Kinder-
und Jugendtheaterprojekte noch die geplanten zwei Theaterproduktionen
zu Premieren gebracht werden. Wer nicht produziert, verdient kein
Geld - folglich können auch die geplanten Eigenleistungen nicht
erbracht werden.
Ein Haus, in dem nicht gearbeitet werden kann, muß
schließen.
Theater fact
betreibt eine eigene Spielstätte in der Innenstadt von Leipzig.
In der institutionellen Förderung ist Theater fact nicht
vorgesehen. Das heißt, der gesamte Haushaltsplan des Theater
fact des Jahres soll nunmehr mit der Projektförderung der Stadt
in Höhe von 15.000,00 DM (schon gekürzt von eingereichten
35.350,00 DM für sechs Projekte) abgesichert werden.
Bisher hat Theater fact jährlich neun Inszenierungen produziert
und damit eine Zuschauerzahl im Jahr 1998 von 12.000 erreicht. Mit
einer geringeren Anzahl von Premieren, in diesem Fall von zwei,
verliert Theater fact Zuschauer, damit Gelder zur Deckung der Kosten
der Spielstätte und Lohnnebenkosten, verlieren acht Angestellte
ihren Job und werden in die Arbeitslosigkeit entlassen. Letztlich
wird die Spielstätte geschlossen. Leipzig verliert in der
Innenstadt einen Kulturstandort.
Der LEGE ARTIS e.V. beantragte Fördermittel für das Projekt
"FREUNDSCHAFT(s)- SPIEL". Das Projekt ist eine Theaterwerkstatt von
Jugendlichen aus Leipzig und Kairo, geplant für April und Juli
1999.
Träger sind der Lege Artis e.V. und das Ministerium für
Jugend und Sport Ägyptens. Bei diesem Projekt geht es um die
Akzeptanz fremder Kulturen, die während der theatralischen
Umsetzung verdeutlicht, daß der freundschaftliche Umgang mit
den Partnern aus einem fremden Land soziale Bindungen und
Freiräume schafft, die Grenzen in den Köpfen abbaut und in
Toleranz übt.
Die beantragten und abgelehnten Projektmittel vom
Regierungspräsidium in Höhe von 5.000,00 DM betragen ein
Drittel der Projektsumme. Das Projekt, für das in Ägypten
Mittel bereitstehen, muß mit der Ablehnung sterben.
Die Studiobühne
Leipzig hat für 1999 beim
Regierungspräsidium 19.275,00 DM, verteilt auf 14 Produktionen,
beantragt. Neben allen anderen Kürzungen und Absagen resultiert
allein aus der Ablehnung des o.g. Anteils der absolute Wegfall von
vier Produktionen. Darunter die Studiobühnen-Werkschau, mit der
das einzige Leipziger Theaterfestival gestrichen wird, das sich
speziell dem Amateurnachwuchs verpflichtet fühlt.
Zugleich wird fast der gesamte Spielplan für die ersten vier
Monate des LOFFT im neuen Haus am Lindenauer Markt gestrichen. Dieses
Haus, von der Stadt Leipzig für mehrere Millionen innen und
außen neu gestaltet, wird zu einer leeren Hülle
eröffnet, denn auch den anderen freien Träger, die den
Spielplan ausfüllen wollen und sollen, sind die Mittel
gestrichen worden, so der Insel-Bühne
(32.500,00 DM), dem THEATER IM
GLOBUS (Wegfall der Jahresreihe mit
Figurentheateraufführungen, haupsächlich für Kinder),
dem Büro für
Off-Theater (31.000,00 DM) ...
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Kinder- und Jugendtheater auf dem Abstellgleis!
Protest der Initiative Freier Kunst- und Kulturschaffender Leipzigs
Seit 10 Jahren nach der Vernichtung des Weißen Saals, Spielstätte des Theaters in der Leipziger Kongreßhalle, ist die "Junge Welt", das älteste Kinder- und Jugendtheater Deutschlands, auf der Suche nach einer neuen festen Bleibe. Seit l0 Jahren pendelt das Ensemble zwischen Schulsporthallen, Klassenzimmern und dem "Haus Leipzig" hin und her, in dessen einzigen Saal das Theater unter unwürdigsten Bedingungen Gast ist.
Wieviel Idealismus und Handwerk unter den geschilderten Umständen von Vorständen, künstlerischem und vor allem technischem Personal des Theaters von Nöten ist, damit die Kinder und Jugendlichen nicht darunter leiden, vermögen die meisten Politiker der Stadt offenbar nicht einzuschätzen geschweige denn zu würdigen. Der Stadtrat beschloß zwar 1994, dem Ensemble im "Haus der Volkskunst" am Lindenauer Markt eine Heimstatt mit einem Saal für 300 Zuschauer, einer kleinen Studiobühne und Platz für Verwaltung und Technik zu geben Der Saal allerdings, wichtigste Voraussetzung für die Arbeit eines Theaters, wird nach wie vor nicht weitergebaut. Obwohl die Mittel dafür bereits geplant waren, gibt es im Haushalt 1999, beschlossen am 3. Februar, keinen Pfennig mehr für den geplanten Weiterbau im Haus der Volkskunst. So wird der für den Herbst 1999 vorgesehene Umzug wieder verschoben. Seit Jahren wird seitens der Stadt immer wieder aufs Neue und vergeblich nach einer anderen Spielstätte für das Kinder- und Jugendtheater gesucht. "Wir stehen alle hinter dem Theater der Jungen Welt" bekräftigt Karin Scheibe von der SPD. Wir fordern: Die Politiker sollten sich nicht hinter, sondern schützend vor ein Theater stellen, das mit seiner Arbeit für Kinder und jugendliche Zuschauer das Interesse weckt und wach hält für die große und kleine Theaterlandschaft dieser Stadt.
Wir protestieren gegen die Aussetzung der Baumaßnahmen und fordern den Stadtrat auf, die Mittel für die Fertigstellung des Saales im Haus der Volkskunst als Theatersaal bereitzustellen.
Theater Struktur fokal, Lege Artis, Bund Sächsischer Puppentheater, LOFFT - Verein zur Förderung des Leipziger OFF-Theaters, INSEL-Bühne, Poetisches Theater, Büro für Off-Theater, theater fact, Studiobühne Leipzig, Theater im Globus, großstadtKINDER e.V. im THEATRium, Frauenkultur e.V., Moritzbastei, Ines Krautwurst (Sängerin), Heike Albrecht (Tänzerin), Christine Hebestreit (Tänzerin), Jana Ressel (Tänzerin), Frank Schenke (Puppenspieler)
Wollen Sie sich am Protest beteiligen, dann senden Sie bitte eine Postkarte mit einem kurzen Kommentar an großstadtKINDER e. V., z. Hd. Frau Beate Roch, Miltitzer Straße 52, 04205 Leipzig oder schicken eine eMail an unsere Redaktion.
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