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KUNSTJOURNAL


ANNE BRAUN 1928 - 2003

Meine liebste Dichterin - Gedanken und Gaben zum Tode von Anne Braun

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Trauer-Rede von Brigitte Grashof-Soubeyran, 18.11.2003
- Meine liebste Dichterin - Erinnerungen an die Pressedramaturgin des Deutschen Theaters
- Interview mit Anne Braun Ende der 1990er Jahre
- Nachruf

Die Publizistin, Autorin und Künstlerin Anne Braun ist am 22. Oktober 2003 an Ihrem 75. Geburtstag in Leipzig gestorben.Die Beisetzung fand am 18.November 2003 im Kreise der engsten Verwandten und Freunde auf dem Friedhof Leipzig-Gohlis statt

Urne von Franziska Schwarzbach, Berlin
(entstanden im Auftrag von Jost Braun, Leipzig/Berlin)
Grabbeigabe von Ronald Paris, Rostock
Abbildungen: Archiv Familie Braun

Trauer-Rede von Brigitte Grashof-Soubeyran, 18.11.2003

"Die schwerste Prüfung im Leben ist nicht der Tod, sondern das Sterben.", schreibt Sandor Marais, der ungarische Schriftsteller, angesichts des Todes seiner Frau und kurz vor dem eigenen Tod in sein Tagebuch.

Anne hat diese Prüfung mit Grandezza bestanden. So, als seien ihr Flügel gewachsen, ist sie am Tage ihrer Geburt davon geflogen, auf jene Wolke, von der sie die letzten Jahre zunehmend sprach und die, laut Brecht, "sehr weiß und ungeheuer oben" ist. Und wir, ihre Lieben - Kinder, Enkel, Verwandten, Freunde - stehen da, erschrocken, hilflos, verlassen, in Trauer und Bewunderung über ihre letzte große Leistung, ihren - man könnte fast sagen heiteren Abschied von dieser Welt. Es scheint, als hätte sie ihre ganze Kraft noch einmal zurückgewonnen und auf diesen Tag gerichtet, um ihren Gästen ein schönes Fest zu richten und sich in alter Kraft und Anmut zu präsentieren: frisch gebadet und gesalbt, pedikürt, manikürt, frisiert, "eine Dame eben", wie sie zu sagen pflegte und dabei höllisch lachte.

Liebe Anne, Du siehst, Du hörst, oder was auch immer, ich bemühe mich meine Trauer-Rede in Deinem Sinne, also heiter zu halten und uns nicht zum weinen zu bringen. Dein Tod ist traurig genug. Du hast nun mal das Lachen über das Weinen gestellt, auch wenn Dir oft zum heulen zu Mute war. Weiß ich doch, daß Du mir neulich, in einem unserer letzten Telefonate sagtest: "Die Lucie hat gesagt, es stirbt sich nicht so leicht." Aber Du, Anne, hast es doch so ganz anders gelöst, die Frage der Fragen vom Sein oder Nichtsein

"Sterben schlafen
Nicht mehr, und sagen mit dem Schlaf vorbei
Das Herzweh und die tausend Qualen ..."

Eigentlich kann ich es noch garnicht fassen, daß dieser vertraute Mensch aus meinem Leben verschwunden ist. Einwach weg. Wohin. Manchmal laufe ich durch meine Landschaft in die Uckermark und rufe sie. Mein Sohn Jonas sagte zu mir: "Aber du hast es doch schon geträumt, daß Anne gestorben sei." Ja, ich erinnere, daß ich auf Grund meines Traums sofort nach Leipzig gefahren bin, vor ihrem 75sten Geburtstag. Da hat sie mich wohl gerufen. Ohne Telefon. Vorher, damit wir noch einmal allein beisammen sein konnten.

Gerade in diesem Herbst hatte ich mich intensiv mit dem Gedanken an den Tod beschäftigt, eine Patientenverfügung aufgesetzt und Lessings tröstliche Schrift gelesen - "Wie die Alten der Tod gebildet", in der er behauptet, der Tod sei ein Bruder des Schlafes, sähe aus wie ein geflügelter Knabe, jenem gleich. Nur trage dieser seine Fackel nach unten, wie jener nach oben.

So hätten ihn die Griechen dargestellt, meinte der große Aufklärer und setzte das alte, heitere Bild des Todes dem Gerippe des Mittelalters entgegen, mit dem Fazit:

"Tot sein hat nichts Schreckliches; und insofern Sterben nichts als der Schritt zum Totsein ist, kann auch das Sterben nichts Schreckliches haben." Soweit Lessing.

Ich, seine Worte bedenkend, packte flugs eine Kopie meiner gerade angefertigten Patientenverfügung für meine treue Freundin in die Tasche und fuhr los, gen Leipzig. Die gemeinsame Freude war groß. Jedoch gesellte sich bei Anne mit der Wiedersehensfreude rasch eine angestrengte Erschöpfung hinzu, auch Abwesenheit - bei mir, Erschrecken und Trauer. Wenngleich ich es für nötig erachtete, ihr die Patientenverfügung anheim zu stellen, brachte ich es am ersten Tag nicht übers Herz, sie damit zu beunruhigen. Heute bin ich froh darüber, ihr noch anderthalb Tage so nahe gewesen zu sein. Am anderen Morgen, erfrischt durch Schlaf und schwesterlichen Pflegedienst, hat sie mein Papier mit dem ihr eigenen Humor aufgenommen. Sie fand es ein herrliches Geschenk, "edel", wie "irish coffee mit ham and eggs". Als ich es ihr vorlesen wollte, sagte sie lächelnd: "Och nee, meine Kleene, das hast du schon gut gemacht, da vertrau ich dir." So sind wir von einander geschieden.

Eine Woche später, am Geburtstagsmorgen, sieben Uhr dreißig, war ich die erste telefonische Gratulantin. Sie freute sich und dankte noch einmal für das wunderbare Geschenk, worüber wir beide ins Lachen kamen. Sie schien fröhlich und in Erwartung des lieben Besuchs. "Das Beste ist ja", sagte sie, "daß ich nicht zu Kowalsky muß, sondern alle im Bett empfangen kann." Natürlich, beim 'LEVER' - ganz wie es einer Königin zusteht. Den Tag soll sie ebenso bestanden haben. Von Kopf bis Fuß - comme il faut.

Nach langer Zeit mal wieder in den Rollstuhl plaziert, anschließend in die Badewanne, derweil das Bett mit weißem Linnen gedeckt wurde. So hat sie ihre Totenwäsche noch selber hergerichtet, denn schon am Abend, nachdem die Gäste das Haus verlassen hatten, entschwand sie in jenes "unentdeckte Land, von dessen Grenzen kein Reisender wiederkehrt. - ohne Patientenverfügung! "Auch das hat sie mir erspart," sagte Jost. Ja, so war sie, eine tapfere, kleine, große Frau, die sich durchs Leben schlug, ganz auf sich selbst gestellt: mutig und schwach, leichtsinnig und treu, kommunikativ und verschlossen, freundschaftsfähig und abweisend, liebend und einsam, aber vor allem mit einem unverwüstlichen Humor begabt. Ich werde sie sehr vermissen.

Wir wollten immer zusammen auf der weißen Wolke sitzen und der Erdenbewohner Wohl und Wehe belächeln. Ob sie mir ein Plätzchen frei hält da oben. Ich bin traurig. Sehr. RUHE SANFT! Anne.


Meine liebste Dichterin

Meine liebste Dichterin, Anfang Oktober 1973 - also vor 30 Jahren - begegneten wir uns zum ersten Mal. Ich hatte einen Termin im Deutschen Theater. Es ging um ein Praktikum. Wieder einmal hatte sich die Intendanz des Theaters verändert und mit dem Dreigestirn Wolfram, Schönemann und Stolper sollten sich auch Strukturen und Methoden verändern. Für die Öffentlichkeitsarbeit holte man den ehemaligen Chefdramaturgen der Weigel Jochen Tenschert. Tenschert holte sich Anne Braun. Er wollte Professionalität. Und da hatte er auf das richtige Pferd gesetzt. Aber das wußte ich da noch nicht. Aufgeregt betrat ich den ungewöhnlichen Raum. Zwei Fenster in einer Höhe, die das Hinaussehen verhinderten, mit Mühe sah man den Himmel. Das Mobilar Neobarock in Braun, Weiß und Rot. Gediegen und fast spartanisch. Zwei Tische, zwei Sessel eine Eckbank mit Tisch. Hier hatte sich schon der Bruder von Max Reinhardt den Kopf zerbrochen, wie er das Theater am Wirtschaftlichsten führen kann, und später dachte der berühmte Heinz Hilpert über den Spielplan nach. Und da saß nun Anne. Durch meine Freundin Romi Wallat die mit Anne Göthner in Leipzig studiert hatte, kannte ich manches Literarische und Persönliche. Das war sie also - die Anne Braun. Und da war auch schon der Funke, der sofort übersprang, später auch auf Wilfried und Franziska. Das, was sie so außergewöhnlich machte, war ihr Lachen, ihre wundersame Art Dinge zu sehen, sie dann so wahnwitzig wiederzugeben, daß die Erinnerung ein Leben hält. Was haben wir in dieser Zeit gelacht. Nie wieder und mit niemanden ist mir das passiert. Immer wenn es tierisch ernst wurde und man sich schon am Rande der Verzweiflung befand, konnte Anne die Situation retten. Ein einfaches, kaum hörbares OBWOHL. Man muß bedenken, das war die Zeit, wo sich die Erfolge, die sich die neue Leitung erhofft hatte, nicht einstellen wollten, wo die progressiven Kräfte wie Dresen mit seinem Kleist-Projekt oder Erforth/Stillmark mit Volker Brauns KIPPER, dem Studio-Projekt MURIETA und der INSEL von Fugard international anerkannt wurden, aber durch die damit enstandenen Fragen den normalen Theaterbetrieb störten. Der Intendant fuhr zur Kur, Dieter Franke erfand den Kurfürsten. Tenschert arbeitete meistens zu Hause. Anne Braun entschied. Bescheiden ohne viel Aufhebens mit kühler Noblesse. So entstand das nie wieder erreichte DT REPORT, zahlreiche Programmhefte und die gesamte visuelle Erscheinung des Theaters. Außerdem wurde Anne durch ihre Integrität den einzelnen Regieteams unentbehrlich. Man benötigte ihre Meinung.Und mit dem ihr eigenem Humor steuerte sie diplomatisch durch die ewigen Streitfälle. Indem sie über sich selbst lachen konnte, schaffte sie es, den Starrsinn zu beugen. Aus meinem Praktikum wurde nach dem Studium eine Anstellung und so war ich immer an ihrer Seite. Meine Universitäten.

Vergessen werde ich nie, wie wir uns im Sommer auf das Dach des berühmten Theaters schlichen und in Liegestühlen, der Requisite entwendet, unserer bulgarische Gurkensuppe beim Sonnenbaden genossen. Eine Quelle der Inspiration durch Konspiration. Oder wenn Anne im Kumrner steckte, einfach drei Tage nach Warschau verschwand auf dem Alten Markt Kaffee Polska schlürfte und wohlgelaunt am Montag wieder am Platze saß. Wie habe ich das geliebt. Dieses sich aufmachen und ohne zu klagen sich auf sich selbst besinnen. So stark und frei auch in ihren schrecklichsten Krankenzeiten. So die Nachwirkungen des Moskau-Gastspiels. Hepatitis. Nach einer Phase unentwegter Arbeit. Alles war mit Schwierigkeiten verbunden. Das Programmheft, die Ausstellung, das Begleitheft zur Ausstellung. Auf dem Titel ganz schlicht in kyrillisch Deutsches Theater und ein guter Mensch hatte nach der Korrektur noch ein Ikratkoje gesetzt. Was nun? Der Transport am anderen Tag. Die Auflage 3000. Und so saßen wir Stunde um Stunde durch die Nacht mit Rasierklinge und poliertem Fingernagel. Aber auch Rotwein. Und viele, sehr viele Helfer. Durch die Ausbürgerung Biermanns änderte sich alles. Tenschert ging. Kutscha kam. Anne war nicht bereit, unter einem Zeitungsunterstreicher zu arbeiten. Beruflich getrennt, aber unzertrennlich und wir haben uns bis zu Deinem letzten Geburtstag nicht aus den Augen verloren.

Meine liebste Dichterin, mein Annele, Du weißt warum ich heute mit zweierlei Gefühlen hier stehe: froh zu wissen, daß Dein Leiden endlich ein Ende hat, aber furchtbar zu wissen, daß ich Dein pist tu plöd, ach meine Kleine, bay bay bebe und die vielen anderen Zauberwörter nie mehr hören werde. Ich werde dich nie vergessen. Du warst so wichtig in meinem Leben. Dafür nochmals Danke - und schon höre ich wieder dein OBWOHL!

G. P., 18.11.2003


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Interview mit Anne Braun Ende der 1990er Jahre
- Nachruf


In der Folgezeit wird unsere Redaktion Texte, Zeichnungen und Hörspiele von Anne Braun für eine Retrospektive zusammenstellen.
Bereits verfügbar als Archiv-Editionen auf CD-ROM sind Anne Braun's Rundfunkarbeiten "Zu Hause ist's am schönsten" und "Ring mit blauem Stein" sowie die bibliophilen Erstveröffentlichungen zweier Prosatexte aus der leider unvollendeten Reihe "Träume": "Feuer" und "Schaufensterfigur" (alle Editionen erhältlich vom Verlag EDITION LEBENSRETTER über www.artists-books.de)


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