leipzigart  KUNSTJOURNAL


Zitat aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30. April 2001

Das Herz der Finsternis und eine Peep Show

Immer aktuell: Künstlerbücher auf der "Art Frankfurt"

Unter den etablierten Kunstmessen ist die "Art Frankfurt" die einzige, die en bloc auch dem Kunstbuch als einem singulären Thema zeitgenössischer Kunst ein besonderes Terrain einräumt. In enger Nachbarschaft zum Stand des Frankfurter Kunstvereins in Halle 1.1 sind sie versammelt, die Mini-Universalisten, die auf einem Stück Papier mit Bild und Wort - und oft auch ohne dieses - als Unikat oder Kleinstauflage ein komplettes Weltbild entworfen haben. Bisweilen liefern sie auch die Musik dazu, wie etwa Mikhail Karasik (bei M.K. Publishers, St. Petersburg) mit seiner Lithofolge zu Schostakowitschs Jüdischen Liedern oder seiner Mappe "Shulamite The Song of Salomon". Seine fünffachen Vergrößerungen von originalen Pässen seiner Landsleute verweisen bürokratisch einwandfrei auf deren Schicksals- und Leidenswege. Lakonisch auch - aber als pure Ironie - Matthew Tysons Unikat "TV" (bei "lmprints"): Als Leporello fügte der Brite zahlreiche Blätter mit stets demselben Scha-: blonendruck eines silberfarbenen Quadrats mit dem Stempeldruck einer Horizontalen zusammen. Als Unikat zeigt Thomas Offhaus (bei "Globus", Leipzig) sein eindrucksvolles großformatiges Mappenwerk kräftig farbiger Holzschnitte, Aquatinten und Kaltnadelradierungen wie auch Stempeldrucke zu einem Textauszug von Joseph Conrads „Herz der Finsternis". Der Künstler aus Gotha, der gelernter Fachmann elektronischer Medien ist, weiß mit aller Bestimmtheit, daß "Cyberspace, 'das Buch ohne Papier', Dichtung visuell nicht transportieren" kann.

Erstmals tritt jetzt auf der "Art Frankfurt" die vor zehn Jahren begründete "Frankfurter Edition" auf. Was sie mit wechselnder Teilnahme von zehn bis zwanzig Künstlern alljährlich zu einem bestimmten Thema mit Unikaten erarbeitete, präsentiert sie nun als Überblick. Darunter ist auch der in Glastafeln gebundene Katalog der Mandorla-Variationen als Hinterglasmalereien von Bernd Wolf, dem Spiritus rector des Künstlerkollektivs. Von Beginn an gehörte die Frankfurterin Petra Ober dazu, von der nun die hintergründige Interpretation des schönen Bildes der badenden Frauen von Carl Blechen - im Städel - als delikate Peep-Show zu sehen ist. Wie rund um den Erdball, in Europa, den Vereinigten Staaten und Asien eine traditionelle Kunst immer wieder überraschend aktualisiert wird, beweist der große Stand der 10. Internationalen Ausstellung für Künstlerbücher und Handpressendrucke. Als Einladung zu einem Besuch hängen an einer Wäscheleine, befestigt mit Klammern, zahlreiche Blätter aus dem Tagebuch des Wiener Kunstprofessors Herwig Zens: lustige Zeichnungen, skurrile und ernsthafte Notizen.

cvh.

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