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Benno Besson gestorben

23.02.2006

Im Alter von 83 Jahren starb heute in Berlin der Schweizer Regisseur Benno Besson.



1949 holte Bert Brecht den jungen Besson, der in der französischen Schweiz geboren wurde und inzwischen in Frankreich inszenierte, an sein Berliner Ensemble. Als einen Schüler Brechts verstand Besson sich nie, dazu waren zu eigenständig und kam zudem aus einer anderen, der französischen Tradition. Für einen Brecht-Schüler sei er nicht intellektuell genug, bemerkte er dazu lediglich.

Der Bruch mit dem Berliner Ensemble war unvermeidlich. Der Anlass war ein Vorfall von anekdotischer Lächerlichkeit, der dennoch bezeichnend ist: Der junge Besson verlor Probennotate von Brecht, eine Gotteslästerung von einzigartigem Ausmaß. Die Probennotate waren unter den Brechtschülern der Heiligen Schrift gleichgeordnet. Besson dagegen achtete sie gering, las sie ungern und verlor sie leichthin.

Er inszenierte im In- und Ausland. Der große, der ganz große Erfolg kam für ihn am Deutschen Theater mit seinen Inszenierungen des Friedens von Aristophanes in der Bearbeitung von Hacks, mit dem Drachen von Jewgeni Schwarz, dem Oedipus Tyrann von Sophokles. Es waren legendäre Inszenierungen, die am Beginn einer Arbeit standen, die das Theater der Stadt Berlin prägte und das Theater in Deutschland nachhaltig beeinflusste.

Einige Jahre später übernahm er die Berliner Volksbühne als Intendant und konnte nun deutlicher zeigen, was Theaterarbeit bedeutet, die für ihn weit mehr war als nur das Inszenieren von Theaterstücken. Für Besson ist Theater ein Teil einer großen, jahrhundertealten Kultur und muss sich als solcher behaupten und ihr gerecht werden. Für Besson ist das Theater der schönste und spannendste Teil unserer Kultur.

Mit Besson kam das Südliche, das Romanische über jene Grenze, die wir in Deutschland die Main-Linie nennen, die in Europa den bunten, bilderreichen Katholizismus vom strengen, puritanischen Protestantismus trennt. Diese Differenz erklärt die Bedeutung Bessons für das deutsche Theater. Er kam in eine Theaterlandschaft, die zunehmend von Bert Brecht und mehr noch von den Brecht-Schülern dominiert wurde, und in der ein Besson eine belebende, aber auch störende und verstörende Provokation durch Spiellust und Spielfreude war.

Auf andere Art, zu einer anderen Zeit zeigte sich diese Differenz, als Heiner Müller Besson beschuldigte, mit der Erfolgsinszenierung des Drachen das Ende des politischen Theaters eingeleitet zu haben. Nun gab es in der DDR alles Mögliche und Unmögliche, aber ein unpolitisches Theater, das war undenkbar: Die Augen und Ohren der Zuschauer politisierten jede noch so unschuldige Bemerkung, und notfalls wurde sogar der Farbe der Eintrittskarte eine politische Bedeutung gegeben.

Die Inszenierung des Drachen durch Besson war eminent politisch, aber nicht auf die protestantische Art, nach der - wie Marx sagte - ein Luther den Christenmenschen aus dem römischen Joch nur befreite, um sein Herz in Ketten zu legen. Besson liebt die Komik, die eine ernste Grundierung hat, einen existenziellen Hintergrund; die deutsche und europäische Hochkultur aber ist ihm suspekt. Er bevorzugt die niedere, die plebejische Tradition der Komik und Komödie, das Theater eines Shakespeare, eines Molière, eines Aristophanes.

(Zitat Christoph Hein, 2002)

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