leipzigart  KUNSTJOURNAL



Kleine Lobrede auf Manfred Bofinger
Von Anne Braun


Der Grafiker und Karikaturist Manfred Bofinger ist am 8. Januar 2006 im Alter von 64 Jahren gestorben. Der ehemalige "Eulenspiegel"-Illustrator und Autor zahlreicher Kinderbücher hatte seit Ende 2004 nach einem Gehirnschlag im Koma gelegen. Die leipzigart-Redaktion veröffentlicht aus ihren Archiv zur Erinnerung einen sehr persönlichen Artikel der im Oktober 2003 gestorbenen Berliner Autorin, Dramaturgin und Künstlerin Anne Braun aus dem Jahre 1978, erschienen in der Wochenpost 52/1978

Die Welt der fröhlichen Bilder

Nun sitze ich eines hässlichen, grauen Dezembersonntags inmitten seiner bunten Plakate, Karikaturen und Bücher, krame und blättere hier und da herum, freue mich über diesen und jenen Einfall, komme ins Lachen, aber mehr in so ein leises, und denke: Auch wer ihn nicht kennt, erkennt in diesen Zeichnungen, mit wem er's zu tun hat. Das ist einer, der nicht um sechs Ecken herum denkt oder sich seine Ideen in tiefster Einsamkeit austüftelt, der steht, wie man so schön sagt, mit beiden Beinen auf der Erde und guckt sich um und teilt uns das, was er zu sagen hat, klar und unmißverständlich mit.
Seine Bilder zeugen von einer großen Offenheit, von genauer Kenntnis der jeweils dargestellten Situation und verraten sein beneidenswert glückliches Naturell, den Dingen die heitere Seite abzugewinnen. Man begreift auf den ersten Blick, dem macht die Arbeit Spaß und alles, was zum Leben gehört, das Essen und Trinken, das Reden und Streiten. Und wenn er Unzulänglichkeiten kritisiert oder die Fehler und Schwächen der lieben Zeitgenossen auf die Schippe nimmt, tut er's mit leichter Hand, so ernst er es auch meint, weil ein Quentchen Humor oft wirksamer sein kann als ein Kreuzfeuer moralischer Ermahnungen.
Die Rede ist von Manfred Bofinger, seines Zeichens Karikaturist und Gebrauchsgrafiker, und es ist keine Übertreibung, ihn kennt fast jedes Kind. Denn Bofinger wendet sich an alle Altersgruppen und mit ganz besonderer Vorliebe an die jüngeren. Sein Verhältnis zu Kindern ist ungetrübt, weil er sich naives Staunen, die Lust am Fabulieren und die einfache Sicht auf scheinbar komplizierte Vorgänge bewahrt hat und natürlich auch aus dem Kreis seiner eigenen Kinder Anregungen bezieht. Fast möchte ich ihm unterstellen, daß sie in den verschiedensten Illustrationen auftauchen, zum Beispiel Fabian in Uwe Kants »Der kleine Zauberer und die große 5«, Bettina in Hartmut Brüchers »Tangeltingel« oder Karoline in »Bine und die Parkoma« von Peter Brock, alle erschienen im Kinderbuchverlag.
Für Vorschulkinder, die sich allmählich ihre Umwelt erobern, malte Bofinger eine Reihe Liliput-Bücher (garantiert unzerreißbar!), bei denen anhand einer Grundidee jeweils eine fortlaufende Bilderserie entstand. In der Vater-und-Sohn-Geschichte »Karl und Karlchen« wird lediglich erklärt: »Karl und Karlchen wandern. Sie baden im See und machen Spaß beim Anziehen. Karl und Karlchen schlucken und schlecken Brause und Brote unter dem großen Baum. Karlchen kann so groß sein wie Karl, und beide sind wie ein Baum.« Alles andere gilt es, selbst herauszufinden. In jeder dieser kleinen Geschichten steckt eine pädagogische Absicht, sie wird als Pointe, als fröhlichen Endpunkt gesetzt, wie bei »Ich kann bauen«, wo der kleine Baumeister versehentlich die Zipfelmütze seiner Kasperlefigur mit einem spitzen, roten Baustein verwechselt hat.

Zu meinen schönsten, von Bofinger illustrierten Büchern gehören Mark Twains »Ein Yankee an König Artus' Hof« und Uwe Kants »Roter Platz und ringsherum«. Für Twain hat er ganz feine, zarte Zeichnungen gemacht, das Zeitkolorit genau getroffen, aber auf so ulkige Art, daß man bereits angeheitert mit der Lektüre beginnt. Auch der »Rote Platz« ist ein hinreißendes Buch, doch das wäre es nur halb ohne Bofingers Bilder. Ob Moskauer Registrierkasse, Spielzeug, Metro-Stationen, Basilius-Kathedrale oder Spasski-Turm, die ganze Stadt mit ihrem Drum und Dran wird zum Greifen nahe, liebens- und entdeckenswert, und der bunte Stadtplan auf dem Vorsatzpapier ist so lustig und übersichtlich, daß sich in Moskau keiner mehr verlaufen kann. Ein ähnliches Buch gibt es auch über Bulgarien von Martin Viertel, »Kuckucksgarn«, und ich finde, solche Reiseführer hätten Erwachsene genauso nötig, weil sie, ganz von persönlichem Erleben geprägt, über Land und Leute Auskunft geben. Von den neuesten Kinderbüchern möchte ich den phantastischen Geschichtenband »Der grüne Kachelofen« und Martin Viertels »Ticki Mumm« nennen. Hier präsentiert sich fast ein neuer Bofinger, in farbiger Dichte und geschlossenen Bildformen, er erfindet die ulkigsten Fabeltiere, die man sich denken kann, läßt Dinosaurier mit Rucksack durch die Gegend wandern, grüne Drachen fliegen und setzt einem blauen Esel ein blumengeschmücktes Strohhütchen auf.

Für den Verlag Junge Welt hat sich Bofinger sehr originelle Bastelbogen ausgedacht: Krokodil- und Hampel-Weihnachtsmann, Ofenschlange, Marienkäferwürfel und dergleichen mehr sind leicht zu realisieren, so daß selbst ein Ungeschick sein buntes Erfolgserlebnis schnell in Händen hat und sich daran erfreuen kann.

In seinen Karikaturen wendet er sieh gegen Engstirnigkeit und Routinedenken, gegen Prahlsucht und Bequemlichkeit, gegen gleichgültige Eltern und schludrige Leute, weil er alles haßt, was den Fortschritt behindert und uns das Leben schwer macht. Er ärgert sich auch, daß die Rolle der politischen Karikatur bei der Presse nebensächlich behandelt wird, Humor und Satire zu kurz kommen und eher als Füllsel betrachtet werden können, und nicht als wichtiges Mittel, Einsichten zu vermitteln und den Entwicklungs- und Veränderungsprozeß der Menschen zu befördern.

Für seine Plakate sucht er stets eine besondere, handfeste und für jeden sichtbare Idee, eine Pointe, die den Beschauer direkt anspringt und in der er eigene Erkenntnisse bestätigt findet. Das bezieht sich nicht nur auf Plakate für Kinder, wie den herrlichen, auf einem Schaukelpferd sitzenden kleinen Budjonny-Reiter mit rotem Stern an der Mütze, einem roten Buch in der Linken und einem roten Schwert in der Rechten, für den Kinderbuchverlag zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution gezeichnet, das bezieht sich auf alle anderen Plakate auch, ob es sich nun um solche für Ausstellungen, Kabarettprogramme, Filme oder Theateraufführungen handelt.

Ich kenne Bofinger seit gut vierzehn Jahren, als er nach seiner Armeezeit jung, schlank und mit einem randlosen Brillchen in der Redaktion »Eulenspiegel« als Umbruchredakteur arbeitete und sich nebenbei im Zeichnen ausprobierte, seither sind wir befreundet. Es liegt mir fern zu behaupten, ich hätte ihn entdeckt, doch zumindest gebührt mir der Ruhm, seine erste Karikatur rechts unten auf der Kulturseite gebracht zu haben. Ich glaube, es ging um einen Indianerfilm mit Gojko Mitich. Inzwischen gehört Bofinger zu den produktivsten und populärsten Grafikern unseres Landes.

Zu bewundern ist nicht, daß er sein immenses Tagespensum schafft, sondern wie er es schafft, Zeit zu haben für sich und andere. Er gehört zu den wenigen Menschen, die noch zuhören können, wenn ihm jemand was erzählt. Auf seine Anteilnahme kann man zählen, auf seine Hilfe auch, falls sie nötig ist, aber er faßt einen auch nicht gerade mit Samthandschuhen an, wenn ihm etwas mißfällt.

Die Befürchtung, eines Tages gingen ihm einmal die Ideen aus, habe ich nicht, weil Bofinger seinen fast unüberschaubaren Freundeskreis auch als unfreiwilliges Zulieferer-Team neuer Einfälle benutzt. Seine Kommunikationsfreudigkeit ist nicht zu bremsen, er treibt sich in Theateraufführungen, auf allerlei Veranstaltungen und überall dort herum, wo es was zu sehen und zu hören gibt, verwickelt den Taxifahrer in ein Gespräch über Umleitungen und Benzinsorten, legt sich mit einem Experten an über Probleme afrikanischer Literatur, spricht mit dem Gemüsemann über die diesjährige Apfelernte und mit einer alten Dame über die Vorzüge eines Quark-Öl-Teiges.

Und wenn man's recht bedenkt. könnte er ohne uns alle gar nicht existieren, am wenigsten ohne seine Frau, die die Verantwortung über einen störungsfreien Arbeitsablauf, ein wohltemperiertes Familienklima und zur Not auch noch die Speisung von zweitausend Mann übernimmt.

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