leipzigart  KUNSTJOURNAL


 

Zitat aus der Berliner Zeitung

Der Junge ist ein Hipster
Der Regisseur Michael Almereyda hat “Hamlet” auf grandiose Art neu verfilmt

VON ROBIN DETJE

Es ist also vorbei - nun hat das Kino dem Theater alles genommen. Dies hier ist der jüngste und wahrscheinlich endgültige einer langen Reihe blutsaugerischer Überfälle des neuen auf das unendlich viel ältere (wenn auch ganz und gar nicht ehrbarere) Medium. Zuerst musste das Vaudeville dran glauben: Sahnetorten wurden fürderhin auf der Leinwand geworfen. Dann war es die Gesellschaftskomödie, die sich Hollywood einverleibte, zuerst noch in offensichtlich geklauten Theaterdekorationen, auf "Sound Stages" gestellt. Und schließlich waren auch das Melodram und die Tragödie an der Reihe: Das Kino winkte kurz mit seinem melodramatischsten Mittel (Nahaufnahme mit künstlichen Tränen in Ingrid Bergmans Augenwinkeln), und beide Formen wechselten achselzuckend die Seiten.

Es war ein Segen, dass das immer älter aussehende Theater sich in seiner deutsch-subventionierten Untergattung (und unter Vorhaltung fadenscheiniger politischer Motive) ein neues Ausdrucksmittel erfand: den radikalmodernisierten Klassiker. Richard drei im Frack - das konnte das Mainstream-Kino damals nicht. Doch jetzt zeigt es uns „Hamlet" im Manhattan von heute, hinter Spiegelglasfassaden; Trauer muss nun Thespis tragen. Natürlich hat es schon vorher Shakespeare- und "Hamlet"-Verfilmungen gegeben; die "Internet Movie Database" verzeichnet für die letzten 101 Jahre 40 Film- und Fernseh-"Hamlets". 1996 war Kenneth Branagh in den Ring gestiegen und hatte sich des fröhlichen Schwiegersohnwesens in einem besonders schweren Fall schuldig gemacht. Branaghs "Hamlet"-Film zum Abgewöhnen zeigt besonders gut, was dem Regisseur Michael Almereyda jetzt so gelungen ist: Sein Film dürfte der erste sein, der dem Shakespeare-Biihnenwesen keine Reverenz mehr zu erweisen versucht, indem er pflichtbewusst dröhnt und scheppert.

Almereyda und seine Schauspieler benehmen sich, als sei "Hamlet" schon immer ein Filmskript gewesen (und als sei auf der Leinwand nie etwas Anderes gesprochen worden als elisabethanische Jamben) . Sie reduzieren die Ehrfurchtsdistanz zwischen sich und dem Barden auf null, ersetzen Theaterdonner und Bühnennebel durch die MTV-Effekte, die neueste Kamera- und Schnitttechniken aus moderner Architektur herausholen. Aber nie werden sie dem Text untreu dabei: Er wirkt bloß wie eben geschrieben. Claudius (Kyle MacLachlan) ist durch Mord zum Chef der weltumspannenden "Denmark Corporation" aufgestiegen; seine Geschicke verdienen in den Zeiten des Turbokapitalismus größere Aufmerksamkeit von CNN als die der Supermächte. Er genießt seine Macht mit Gertrude (DianeVenora) im Fonds extra-langer, weißer Limousinen. Hamlets Geist (Sam Shepard) erscheint als unangenehme atmosphärische Störung auf denVideo-Überwachungsmonitoren des "Denmark"-Wolkenkratzers in Midtown New York.

Hamlet (Ethan Hawke) ist ein Hipster (oder Eliphopster) mit Wollmütze, die er sich im Ekel vor den Umtrieben der Erwachsenen über die Ohren zieht; ein unartiger, unrasierter, verkaterter Junge. Berliner Zuschauer werden seine heimelige Volksbühnen-Ausstrahlung zu schätzen wissen: Der Mundgeruch, den man ihm ansieht, stammt unzweifelhaft von einer nächtlichen Überdosis schalen Flaschenbieres. Und Ophelia (Julia Stiles) schließlich, von Hamlet ins Kloster geschickt, ertränkt sich im Brunnen, der das Wolkenkratzer-Atrium verziert. Man verlässt die große Stadt und ihr voll klimatisiertes, theatralisches, künstliches Ambiente nicht. Die Metropole ist Universum und Gefängnis zugleich, ein Schicksalsraum wie früher der Königshof. Machtgier ist noch immer Machtgier und Macht noch immer ein Aphrodisiakum. Adoleszente Elternverachtung ist noch immer eine Kraft, die uns Zuschauer durch einen ganzen Abend zu katapultieren vermag. Nun zieht die Tragödie in die Welten von Sir Norman Foster oder Richard Rodgers ein, und sie fiihlt sich wohl bis zur Katharsis. Die neuen Kleider stehen ihr gut; es sind die unseren.

"Hamlet" war schon immer ein frtih-freudianisches Stück (oder muss uns Spätfreudianern so scheinen). Das Familiendrama wird zur Haupt- und Staatsaktion. Bei Almereyda geraten die Urszenen dieser Geschichte besonders klaustrophobisch: Hamlets Überfall auf Gertrud, der nach ausgiebigem Gerangel auf dem mütterlichen Bett zum Tod des leider anwesenden Herrn Polonius führt, ist hier ein unverhüllt ödipaler Schweißausbruch. Der unglücklichen Familie Polonius lässt der Regisseur besondere Liebe angedeihen; von allen Darstellern, unter denen es keine Ausfälle gibt, liefert der Komiker Bill Murray als atemloser Höfling und überforderter Vater die grandioseste Vorstellung.

Bei Poloniussens wohnt man unter gläsernen Zimmerdecken, auf gläsernen Fußböden, in einem innenarchitektonischen Überwachungsstaat. Das allein dürfte die Kinder aus dem Haus treiben: mit anzusehen, wie der Vater sich er für den Lebensunterhalt seinem jeweiligen Herrscher immer wieder lächelnd unterwerfen muss. Hilflos steckt Polonius dem Laertes (Liev Schreiber) vor der Abreise Geld zu und hält ihm eine Moralpredigt, der doch das eigene Vorbild alle Kraft nimmt. Gnadenlos zwingt er seine Tochter, Hamlet bei Claudius zu denunzieren und so im Erwachsenwerden in eine Welt zu treten, die sie hasst. Hilflos taucht der Vater dann mit Luftballons in der rumpeligen Wohnung im Village auf, in die Ophelia geflohen ist - er will sein Kind besuchen und stößt auf Hamlet, den verhassten Rivalen.

Es ist diesem Regisseur gelungen, aus seinen Schauspielern ein für die Verhältnisse der Filmindustrie ganz ungewöhnlich inspiriertes Ensemble zu bilden, von geradezu roher Kraft und Spiellust. In seiner Texttreue erzählt dieser "Hamlet" aber auch von den Längen und Schwächen des Shakespeare-Dramas, das am Ende immer wieder dazu ansetzt, zum Schluss zu kommen, um dann noch eine Kurve zu drehen. Aber diesmal ist es ein Vergnügen, in solchen Schleifen festgehalten zu werden: Man möchte das Kino gar nicht wieder verlassen: Wann hat es einem je solches Theaterglück beschert?

Hamlet

USA 2000, 111 Minuten, Farbe.

Regie & Drehbuch: Michael Almereyda nach einem Drama von William Shakespeare. Produktion: Andrew Fierberg, Amy Hobby. Kamera: John de Borman.

Darsteller: Ethan Hawke, Kyle Mac Lachlan, Julia Stiles, Liev Schreiber, Sam Shepard, Diane Venora, Bill Murray, Casey Affleck u.a.

 

Zitat aus der Leipziger Volkszeitung

Neu im Kino: "Schmalspurganoven" - Woody Allens neue Komödie ist ein Wunderwerk an Witz
Das Kekswunder von Manhattan und der erfolglose Einbrecher

VON NORBERT WEHRSTEDT

Mein Gott, wie macht Woody Allen das bloß! Alle paar Jahre hat er eine Idee, die gar nicht so neu zu sein scheint und dann backt er aus geläufigen Zutaten eine Komödie, die nur so blitzt vor Einfällen. Diese herrlich komischen "Schmalspurganoven" kommen unverkennbar aus der Küche von Woody Allen - und er selbst ist, zappelig und zauselig, der Kopf der Bruch-Tölpelbande .

Nur gut, dass Ray seine Angetraute mit den viel zu engen Hosen und dem viel zu lauten Mundwerk hat. Die nämlich übernimmt eine Keksbäckerei, während im Keller ein Trio aus Möchtegern-Räubern einen Tunnel zur Bank gräbt. Natürlich kommt der an der falschen Stelle heraus - und natürlich passiert ein Wunder.

Denn Frenchys Kekse sind New Yorker Stadtgespräch. Der Laden ist immer proppenvoll, die Schlange vor dem Laden straßenlang - und Frenchy bald ziemlich reich. Da macht es gar nichts, dass Rays Bruch nichts war. Nun sitzt er nicht nur im KeksImperiums-Vorstand, wohnt in einer mit geschmacklosem Plunder voll gestellten Villa und hat Angst vor abstrakten Gemälden. Er muss sich auf Partys auch noch schöngeistelndes Geschwätz anhören - und die Späße über die neureiche Mischpoke.

Das kreppt Frenchy - und so nimmt sie Nachhilfestunden bei einem Dandy, der die Gelegenheit riecht, schnell reich zu werden, und sich an Frenchy ranmacht, während Ray zur depperten Schwägerin zieht...

"Schmalspurganoven" hat alles, was die besten Woody-Allen-Komödien immer haben: Situationskomik geschliffenen Wortwitz - und Woody Allen persönlich in der Hauptrolle. Damit bekommt diese Moritat vom Hochmut, die dem Fall vorausgeht, eine melancholische Patina und eine herrliche neurotisch-nostalgische Diebes-Dimension. Wunderbar hält Woody Allen die Balance zwischen Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung, zwischen Beziehungsfrust und Reichtumsüberdruss.

Es macht einfach Spaß, dem schmalen Drahtigen in all seinem erfolglosen Uberschwang, seiner sehnsüchtigen Traurigkeit zuzusehen. Aber neben sich hat er eben auch Tracey Ullmann als plapprige Frenchy und Hugh Grant als öligen Gigolo platziert. Ein Dreieck, das einfach umwerfend funktioniert, sich die Bälle gegenseitig zuspielt und wieder zurückkickt. Liebe deutsche Komödien-Regisseure, strömt alle ins Kino und seht euch bloß mal an, wie dieser Meister Komödien macht.

Schmalspurganoven, USA 2000, Regie: Woody Allen, mit Woody Allen

 

Woody Allen: Der Stadtneurotiker mit dem Muttertrauma wird 65

Woody Allen:"Ich habe keinen anständigen Beruf gelernt, ich habe keinen Universitätsabschluss, ich kann keine schweren Arbeiten verrichten. Also hätte ich mir einen ganz simplen Job suchen müssen." Hat Woody Allen aber nicht. Er ist statt Jobsucher Stadtneurotiker geworden - vor und hinter der Kamera.

Einer, der am liebsten von verkorksten Beziehungen erzählt. Vom Überleben mit Depressionen, mit der Angst vor Nachbarn und dem nächsten Tag. Woody Allen hat dem Kino den melancholischen Blick gegeben und jene Art von Humor, der nicht unbedingt blau geschlagene Schenkel produziert. Woody Allen hat verdrehte Weltsichten und die Magie der Miesepetrigkeit kultiviert, hat Nostalgie und Swingjazz die Zügel schießen lassen - und doch kommt das alles so unglaublich leicht auf die Leinwand.

Der Sohn eines Gelegenheitsarbeiters, der traurige Clown mit der schwarzen Hornbrille, dem jüdischen Muttertrauma und dem bergmannschen Innenleben hat dem Kino einige seiner schönsten Filme gegeben.

Er war bereits 34, ein gestandener Gagschreiber und Komiker, als er seinen ersten Film drehte: „Woody der Unglücksrabe", eine tiefe Verbeugung vor den Marx Brothers. Seit dieser Ganoven-Satire pflegt Woody Allen, der Jahr für Jahr einen Film inszeniert, sein eigenes Genre. Wo Woody Allen drauf steht, ist auch Woody Allen drin. Selbst die schwächeren Komödien haben immer noch 1000-mal mehr Witz als Hollywoods müde-prüde Sperma-Lustigkeiten

Denn Woody Allen interessiert sich für Figuren und Situationen. Die Kamera steht meist auf Augenhöhe, einige Male durfte sie auch pseudo-dokumentar herumfuhrwerken ("Ehemänner und Ehefrauen"). Ansonsten liebt der Nervöse die visuelle Ruhe.

In den 90er Jahren ging es in Woodys Privatleben allerdings ziemlich unruhig zu. Trennung von Mia Farrow nach 13 gemeinsamen Filmen, weil er eine Affäre mit ihrer 30 Jahre jüngeren Pflegetochter Soon-Yi hatte (jetzt seine Ehefrau). Mia bezichtigte ihn daraufhin pädophiler Neigungen.

Das hinderte Woody nicht daran, sein Werk (Glanzpunkte: "Manhattan", „Zelig", "The Purple Rose Of Cairo", "Hannah und ihre Schwestern") fortzusetzen - auch mit einem Musical ("Alle sagen I Love You"). Einer seiner besten, aber unterschätzten Filme allerdings war "Schatten und Nebel" (1992), eine Hommage an den deutschen Filmexpressionismus.

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