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Neues aus der Olympiastadt Leipzig. Sportliche Geheimagenten bekämpfen freie Kultur-Szene

Man hatte schon in der Zeitung gelesen, daß ein kleines Leipziger Theater diesmal, also für das Jahr 2006, keine Fördermittel aus dem Minikulturförderbudget der Stadt bekommen soll, weil es qualitativ nicht den Anforderungen genüge. Donnerwetter, das war mal etwas neues im trüben Gewässer und da drängte sich der Rückschluß auf, daß nur der gefördert werden soll, der auch richtig gute und wertvolle Arbeit macht. Klingt erst einmal gut, aber wer entscheidet das? Eine andere Gruppierung soll für irgendetwas aber ganz schön viel Geld bekommen, von dem noch niemand weiß, welche Qualität da herauskommt und ob das überhaupt irgendjemanden interessiert und ob denn da auch Publikum hingeht. Wieder Andere, bei denen jeder sagte, daß sie nett, aber in ihrem Fach nicht wirklich gut sind, sollen auch Fördermittel bekommen. Und da hat man sich gewundert und gefragt, wer denn da die Qualifikation besitzt, über Qualitäten und Nützlichkeiten zu befinden, wenn so unterschiedliche Maßstäbe gelten sollen und wo man doch nie irgendeinen Mitarbeiter des Kulturamtes bei irgendeiner Theatervorstellung und so weiter gesehen hat.
Die Veröffentlichung des Verwaltungsvorschlags zur Verteilung der Kultur-Fördermittel 2006 - gut versteckt im html-Labyrinth der Leipziger Stadt-Homepage und nur erfahrenen Internetfreeks zugänglich - läßt uns vermuten, daß es vielleicht eine geheime Beratergruppe gibt, die niemand kennt, die nirgendwo auftaucht und die trotzdem Ratschläge erteilt.
Opfer dieses nebulösen Schaffens der von öffentlichen Geldern bezahlten und eventuell von unsichtbaren Geheimagenten beratenen Mitarbeiter im Kulturamt ist nicht nur das kleine und fleißige und beliebte Theater Fact in Barthels Hof.
Auch die IG Freie Szene Leipzig, zu deren erster Messe freier Kulturträger, dem "Theater im Russischen Pavillon", am 4.9.2005 gleich 4.000 Besucher im Alter von 8 bis 88 und aus allen sozialen Schichten kamen (da kann ein Stadttheater richtig neidisch werden) und die sich soeben tatkräftig zu einem Verein zusammenschließt, soll für die geplante 2. Messe im Jahr 2006 ebenfalls keinerlei Unterstützung durch das Kulturamt erhalten.
Und das renommierte und traditionsreiche "Internationale Festival für Figuren-, Objekt- und Anderes Theater", welches im Oktober 2006 sein 15. Jubiläum begeht und bereits 2005 ohne Begründung mit einer 0 vor dem Komma überrascht wurde, soll trotz zahlreicher regionaler und internationaler Proteste aus Fachkreisen und Publikum auch 2006 nichts von der Stadt bekommen. Aber das Festival war doch immer richtig gut und toll und voll besucht?
Und ebenso die international bekannte "Internationale Ausstellung für Künstlerbücher und Handpressendrucke (IAKH)", alljährlich seit 1992 mit zahlreichen Sonderausstellungen, Lesungen, Buchpräsentationen etc. während der Leipziger Buchmesse präsent, seit vielen Jahren auch mit Dependancen auf der Art Frankfurt, in Köln, Düsseldorf, Berlin, München und Horn/A vertreten und sozusagen als Auslöser des Buchmesse-Bereichs "buch + art" bekannt, bekommt seit Jahren keinerlei städtische Unterstützung. Ätsch - da gibt es eben auch nichts zum Jubiläumsjahrgang Nr. 15.
Und wie sieht es mit der "Jahresreihe Figurentheater in Leipzig (F.i.L.)" aus, die 2006 in den 7. Jahrgang geht und speziell für Vor- und Grundschüler sowie Familienpublikum über das Jahr verteilt an ausgewählten Veranstaltungsorten in kulturell durstigen Stadtbereichen (z.B. Komm-Haus in Grünau, Parkbühne Eutritzsch, Wasserstadt Leipzig in Plagwitz, Anker in Möckern) regelmäßig gute Theatervorstellungen organisiert? Auch die Kultur für die junge Generation ist dem Kulturamt keinen Heller Wert.
Was wollen die denn dann? Keine Kultur der Freien Träger, wenn sie sich zur Optimierung und Vernetzung ihrer Arbeit zusammenschließen. Keine Kultur für die junge Generation - Pisa läßt grüßen. Kein internationales Renommé und keine zahlreich zahlenden Messegäste in Bezug auf die Pflege und Förderung buchkünstlerischer Traditionen in der (ehemaligen) Buchstadt Leipzig. Kein begeistertes Theaterpublikum aller Altersgruppen von fern und nah in ausverkauften Sälen und Zusatzvorstellungen während eines qualitativ hochwertigen und zudem publikumsfreundlichen Festivals mit Künstlern aus dem In- und Ausland.
Komisch, denn das Kulturamt hat sich selbst ganz tolle Richtlinien für die Vergabe von Fördermitteln gegeben - hier nochmal zum nachlesen:
„Förderfähig sind freie kulturelle und künstlerische Projekte und Einrichtungen, die
- zur Erhaltung und Entwicklung der kulturellen Infrastruktur der Stadt Leipzig beitragen und/oder
- auf Innovation ausgerichtet sind und/oder
- an lokale kulturelle und künstlerische Traditionen anknüpfen, sie erhalten und weiterentwickeln und/oder
- sich um Vernetzung und Kooperation kultureller und künstlerischer Initiativen bemühen und/oder
- durch alltagsnahe Angebote allen Bevölkerungsschichten den Zugang zu Kultur und Kunst ermöglichen und dazu beitragen, eigene Kreativität zu entwickeln und/oder
- mit den Mitteln der Kunst oder Kultur den Austausch über unterschiedliche Lebensformen ermöglichen und zum toleranten Miteinander beitragen und/oder
- der Präsentation Leipziger Kultur und Kunst im nationalen und internationalen Rahmen sowie dem Kulturaustausch dienen.“

Na bitte, daran kann sich das Amt doch halten und die Fördermittelanträge nochmals gründlich prüfen - danach sieht der Verwaltungs-Vergabevorschlag bestimmt ganz anders aus. Und dann kann man nur noch ein wenig träumen und sich vorstellen, daß Leipzig einen tollen Kulturausschuß mit richtig guten und kulturell bewanderten Leuten hat, der selbstlos kritisch hinterfragt und mit Sachverstand und fachlicher Kompetenz prüft, was ihm das Kulturamt vorgelegt hat.

Axel Pilz, 6.1.2006

Informationen zur IG Freie Szene Leipzig e.V. i.G.: www.freie-szene-leipzig.de
Information zum Internationalen Festival für Figuren-, Objekt- und Anderes Theater und zur Jahresreihe F.i.L.: www.theatreart.de
Information zur Internationalen Ausstellung für Künstlerbücher und Handpressendrucke: www.artists-books.de
Information zum Theater Fact: www.theaterfact.de

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