leipzigart  KUNSTJOURNAL



globus '06 - 15. Festival für Figuren-, Objekt- und Anderes Theater
Das Jubiläum vom 1. bis zum 27. Oktober 2006

Alles Vorstellung
Leipziger Erstaufführung mit Awogado (Neubrandenburg) am 20.Oktober in der naTo

Die Zuschauer nehmen ihre Plätze auf der Tribüne im Theatersaal der naTo ein. Ein Clown steht mit dem Rücken zum Publikum, ungeduldig wartend, vor einem kleinen, geschlossenen Vorhang mitten auf der Bühne. Endlich, endlich schließt sich die Tür im Zuschauerraum - es wird dunkel. Die Vorstellung beginnt. Schnell entpuppt sich aber die Zuschauertribüne als Backstage-Bereich, von wo aus man die Show des Clowns quasi von hinten erlebt. Das Publikum, das er anspielt ist nicht real vorhanden, der Applaus wird eingespielt.
Die Show ist einfach genial, viele Nummern sind absolut zirkusreif. Kinderleicht sieht es aus, wenn Peter Müller, als Clown, auf einer riesigen Kugel balanciert und dazu mit diversen Musikinstrumenten die herrlichsten Melodien zaubert. Wunderbar komisch sind auch seine Clownerien und das Kirschenpflücken als wirklich gekonnte Pantomime.
Seit Ewigkeiten spielt der Clown so seine Show und Ewigkeiten wird es, jeden Tag aufs Neue, so weitergehen. Die Erschöpfung steht ihn am Ende seiner Darbietungen deutlich ins Gesicht geschrieben. Nachdem im ersten Teil die Lachmuskeln gehörig strapaziert worden sind, folgen nun Momente der Ruhe. Im Umkleidebereich wird, erschreckend nüchtern, die Schminke entfernt - müde versinkt er, beinahe tragisch, in den Schlaf. Eingewickelt in seinen Bademantel muss der Clown nicht mehr wie ein Uhrwerk funktionieren.
Im Traum verschieben sich die Grenzen der Möglichkeit. Die Gegenstände im Theater bewegen sich von ganz allein und man kann nur über die technischen Meisterleistungen staunen. Ton, Licht und vor allem die Mechanik einzelner Bühnenelemente sind fantastisch aufeinander abgestimmt. Alles scheint perfekt zu funktionieren bei der wahnsinnig aufwendig angelegten Bühne von Christian Werdin.
Der Clown bewegt sich nun ganz anders im Raum, denn der Zwang zu unterhalten fällt auf einmal vollkommen weg. Von der Decke schwebt ein weißes Kleid mit weit abstehendem Reifrock, das er sich über zieht. Allein mit dieser äußerlichen Verwandlung von dem Clown im unförmigem Hemd und kurzen Hosen in dieses magische Wesen, wird ein ungeheurer starkes Bild geschaffen.
Endlich kann er seinen eigenen kleinen Zirkus leiten, indem er winzige Zirkusfiguren aus einem Koffer holt und sie zu Musik auf dem Hochseil tanzen oder umher fliegen lässt. Als Pappfiguren werden sie von ihm auf Schnüre gespannt und sind somit in der Lage selbstständig ihre Bewegungen auszuführen. Die kleinteiligen Figuren stehen ganz im Gegensatz zu der raumgreifenden Artistik und öffnen einen weiteren Spielraum, eine andere Spielebene.
Diese Wechsel von Schauspiel- und Figurentheater, von Komik und Tragik, von öffentlicher und privater Spielweise ziehen sich abwechslungsreicher durch das Stück.
Wenn dann schließlich Peter Müller mit seinem gewaltigen Rock auf der Kugel umhertippelt und sein Spiel schließt, kann man sich nur ehrfürchtig vor dieser Leistung verneigen.
Selten ist eine solche experimentelle und wirklich atemberaubende Inszenierung in Leipzig zu sehen und man kann sich nur bedanken für dieses wunderschöne Gastspiel von Awogado in der Regie von Werner Hennrich und Annette Wurbs. Ein toller Abend mit großer Theaterkunst.

Sarah Trilsch, 23.10.2006



Abbildung:
"Alles Vorstellung" /
Ausstattung Christian Werdin
(Awogado)

siehe auch Jost Braun: "Alles Vorstellung. Großes Theater mit kleinster Besetzung"

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