leipzigart  KUNSTJOURNAL



16. Internationales Festival für Figuren-, Objekt- und Anderes Theater - globus'07

Ein Stück zurück vom kleinen Glück

Die ersten Momente des Bühnengeschehens wirken auf seltsame Weise befremdlich: Ein Mädchen mit Zöpfen und einem kleinen Koffer versucht sich mit einem Seil zu erhängen. Nur scheint das unmöglich ohne Haken an der Decke. Dabei will Marelle eigentlich Schauspielerin werden, aber hat kein Engagement. Die Welt scheint es nicht gut mit ihr zu meinen.

Doch sogleich wird die sich anbahnende Tragik gebrochen, indem Marelle die Bekanntschaft mit einer Handpuppe namens Rotschopf, dem Leiter eines kleinen Puppentheaters, macht. Nacheinander stellen sich nun die Puppen des Theater vor: Da gibt es etwa eine schrille Operndiva oder einen glatzköpfigen Riesen, der mit seiner Nase quietschen kann oder einen Fuchs, der in jeder Frau eine Muse sieht. Als Rotschopf Marelle vorschlägt sich der Kompanie anzuschließen, sagt sie sofort begeistert zu.



Doch Marelle ahnt noch nicht, dass auch jemand der Theatergruppe angehört, der ihre Naivität nur ausnutzen will: Er stellt sich ihr nicht vor, erweist sich aber als rücksichtloser Mensch. Dem zierlichen Mädchen trägt er zuerst einmal auf,  die zusammenklappbare Puppenbühne auf der großen Reise zu tragen. Die Kompanie tourt nämlich durch ganz Frankreich, um überall Gastspiele zu geben.

Gespielt wird das Märchen von Dornröschen, in leicht veränderter Fassung. Am Ende des Stücks im Stück erweckt kein Prinz, sondern ein Frosch die Prinzessin.

Währenddessen muss Marelle immer mehr Aufgaben für den Mann übernehmen, der sie immer mehr schikaniert. Er versucht ihr ihre Unschuld zu nehmen, um sich selbst das Leben angenehmer zu machen. Doch Marelle gewinnt an Selbstbewusstsein, sieht selbst was sie leisten kann und kehrt ihm und der Gruppe den Rücken zu, um in einer anderen Theaterkompanie glücklich zu werden. Vergeblich wird sie zurückgerufen.



Erzählt wird die Geschichte der kleinen Marelle in einer wunderbaren Verbindung aus Schauspiel und Figurenspiel. Die Handpuppen werden zum einen sehr klassisch eingesetzt, wenn sie über dem Rand der Puppenbühne spielen. Dabei bleibt der Puppenspieler Björn Langhans hinter einem Vorhang aus Kaffeesäcken versteckt. Zum anderen spielt seine Kollegin Christine Müller mit einer Froschpuppe in offener Spielweise und lässt die Puppe auch Gedanken von Marelle aussprechen. Die Spielerin spricht die Rolle des Frosches mit verstellter Stimme, wie Kermit aus der Sesamstraße, was unglaublich komisch wirkt. Umso virtuoser ist der Wechsel zwischen den Stimmen der fünf Puppen für Björn Langhans. Keine Figur ähnelt der anderen und jeder hat einen einzigartigen Charakter. Bis zum Schluss bleibt offen, wie viel Eigenleben die Puppen gegenüber dem Puppenspieler besitzen.

Mit reduzierten Mitteln lassen die beiden Spieler eine magische Welt auf der Bühne entstehen. Als Zuschauer ist man in jeder Szene hin und her gerissen zwischen Mitleid mit der armen Marelle und herzhaftem Lachen über die Komik der Figuren. "Ein Stück zurück vom kleinen Glück" ist eine zauberhafte Geschichte und zeigt, wie mit einfachen Mitteln großes Theater entstehen kann.

Sarah Trilsch, 28.10.2007


zum Inhaltsverzeichnis