globus ‘08 - 17. Festival für Figuren-, Objekt- und Anderes Theater
5. Oktober bis 2. November
Veranstaltet vom Theater im Globus
Zitat aus dem Online-Magazin "Leipzig-Almanach"
Die Möglichkeit, auf kleinstem Raum Monumentales zu zeigen
Das Festival
globus ‘08 zeigt über einen Monat hinweg die Vielfalt des Figurentheaters. Der Leipzig-Almanach sprach mit Kurator Jost Braun.
Leipzig-Almanach: globus ‘08 wird sehr verschiedene Aufführungen nach Leipzig bringen. Das Programm liest sich als buntes Potpourri. Nach welchen Kriterien erfolgte die Auswahl?
Jost Braun: Die Vielfalt ist Absicht. Am Festival beteiligen sich renommierte Theatergruppen sowie hoffnungsvolle Newcomer. Traditionsgemäß sind vier Programmbereiche geplant, sehr zielgerichtet und klar strukturiert - einer mit ausgesuchten Highlights für das Abendpublikum, ein ebenso wichtiger mit spannenden Vorstellungen für die Schulkinder in den Herbstferien, einer für die Vorschulkinder und einer für das Familienpublikum. Die Abendveranstaltungen werden in erster Linie von Studenten und eingefleischten Theaterfreaks besucht, die aus fern und nah zu uns kommen. Es gibt wieder ein "Hochschul-Spezial", welches in diesem Jahr vormittags und abends gleich drei hervorragende Vordiplome der Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" präsentiert. Eine besondere Aufgabe besteht neben der Suche nach interessanten Abendangeboten für unser anspruchsvolles Publikum darin, zum Vorteil der jungen Theaterbesucher enge Verbindungen zu Schulen, Schulhorten und anderen Kindereinrichtungen zu pflegen und entsprechende Gastspiele zu konzipieren. Bei allem geht es stets darum, die unterschiedlichsten Spielarten des "Anderen Theaters" in guter, professioneller Qualität für ein breites Publikum aus verschiedenen Altersgruppen zu offerieren.
Leipzig-Almanach: Gleich 12 Spielstätten sind in das Festival integriert, das noch dazu eine relativ große räumliche Streuung hat. Das ist eher ungewöhnlich. Welche Idee steckt dahinter?
Braun: Ganz einfach: Wir gehen auf unser Publikum zu und knüpfen gleichzeitig ein enges Netzwerk. Viele Veranstalter in und um Leipzig arbeiten zusammen - im Interesse des Publikums. Einige wie zum Beispiel die naTo, der Anker oder das Komm-Haus sind bereits seit langer Zeit dabei, neue Partner kommen hinzu. Das hat etwas mit einem guten, kooperativen Konzept, gegenseitiger Achtung und positiven Erfahrungen zu tun. Wir erreichen damit eine breite Öffentlichkeit. Und auch ein sozialer Aspekt steckt dahinter: Die Theaterbesucher sparen Fahrkosten.
Leipzig-Almanach: Es ist bereits das 17. Festival seiner Art. Könnten Sie kurz skizzieren, wie es zu dessen Gründung kam?
Braun: Vor dem Festival gab es einen großen, weißen Fleck mit wenigen kleinen Punkten auf der Leipziger Kulturlandkarte, was professionelles Figuren-, Puppen- und Objekttheater betrifft. Wir haben Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts begonnen, diesen Zustand zu ändern; erst einmal mit der Gründung von "Brauns Neuem Puppentheater" und Bemühungen um ein städtisches Figurentheater. Die damalige SED-Bezirksleitung und der Generalintendant der Leipziger Theater haben das nicht gemocht. Es wurden Gastspiele interessanter Leute nach Leipzig geholt und eigene Produktionen gezeigt, hier und da mit großen und kleinen Veranstaltungen und ab 1991 dann auch regelmäßig in meinen damaligen Galerieräumen unweit des Augustusplatzes. Nach kurzer Zeit reichten unsere Stühle nicht mehr aus. Da wurden Bretter auf Stühle gelegt und dann reichte auch das nicht mehr. Das war der Auslöser für die Gründung des Festivals. Das erste fand - ohne öffentliche Förderung - 1992 in der Moritzbastei statt. Es spielten Freunde für symbolische Gagen. Der Start war ein großer Erfolg. Beim Festival ein Jahr danach hatten wir bereits fast 20 Vorstellungen an drei Veranstaltungsorten und einige gute Partner. Dann sprang das Leipziger Kulturamt auf den fahrenden Zug auf, wollte uns das Festival zwischendurch sogar mal klauen. Nun veranstalten wir es seit vielen Jahren wieder ohne kommunale Unterstützung.
Leipzig-Almanach: Das Festival muss ohne städtische Fördermittel auskommen. Während die sächsische Kulturstiftung Sie unterstützt, wird dies vom Kulturamt versagt. Welche Begründung hat man Ihnen dazu gegeben?
Braun: Keine. Anfangs hieß es unter der Hand, weil kein anderer fördert, will nun auch das Leipziger Kulturamt nichts mehr dazugeben. Nicht zuletzt für die Kulturstiftung zählt das Festival allerdings zu den bedeutsamen und förderwürdigen Kulturprojekten im Freistaat Sachsen. Die Beteiligungen von Kulturstiftung, Theater im Globus und der vielen Veranstaltungspartner, zu denen auch Kulturämter anderer Städte, Leipziger Einrichtungen und Vereine, Privatpersonen, mitunter auch die Sparkasse Leipzig gehören, machen schon im jeweiligen Förderantrag und de facto bei der Veranstaltung einen Mammutanteil aus. Dann wurde also verkündet, man habe "andere Prioritäten". Da widerspricht das Kulturamt aber auf peinlichste Weise allen eigenen Förderkriterien, die jeder auf der Leipzig-Homepage nachlesen kann und die in allen Punkten von den Aktivitäten des Festivals vorbildlich erfüllt werden. Die Absagen gingen zudem jeweils an die falsche Adresse - die Geschäftsführung des Festivals als Antragsteller hat nie eine offizielle Antwort bekommen. Wir gehen also davon aus, dass man unsere Konzeptionen nicht einmal gelesen hat und da einfach nur persönliche Befindlichkeiten und ein gehöriger Anteil fachunkundig-boshafte Ignoranz im Spiel sind. Und vom Leipziger Dauer-Kulturbeigeordneten, der in der Sache ein ernstes Wort hätte sprechen müssen, aber - wie er selbst zugibt - mit der Freien Szene nicht viel am Hut hat, erwartet ohnehin niemand etwas. Man sollte die Kulturamt-Fördermittelverwaltung umgehend schließen und die eingesparten Mittel in der Freien Szene aufteilen. Auch wenn dann jeder nur einen regelmäßigen Mini-Zuschuss bekommt, ist das Geld auf alle Fälle besser und nachhaltiger angelegt und kommt am Ende den Bewohnern und Besuchern der Stadt zugute.
Leipzig-Almanach: Leipzig und Figurentheater, geht das für Sie zusammen? Haben neben J.S. Bach und Lama Horst Pulcinella & Co. überhaupt Platz?
Braun: Unbedingt. Ein Zitat aus einer aktuellen Festival-Kartenbestellung: „Endlich ist es wieder soweit!“ oder das eines zunächst ahnungslosen Besucher-Neulings und späteren Fans: „Wunderbar, das war richtiges Theater!“ Kommen Sie einfach mal in eine der Veranstaltungen - ob nun abends oder sonntags oder in eine der Kindervorstellungen. Wir machen Theater für unser Publikum und das ist riesengroß und wunderbar.
Leipzig-Almanach: Beim Festival sind Kinder- wie Erwachsenenstücke vertreten. Gerade letztere werden landläufig noch immer nicht ernst genommen. Worin liegt für Sie der Reiz des Puppen-/Figuren-/Objekttheaters? Was macht diese Kunstform aus? Wo sehen Sie seine Potenziale?
Braun: Für mich hat das Alter eines Theaterbesuchers nichts mit der Kunstform zu tun, die ich ihm vorsetze. Mit dem Klischee des niedlich-infantilen Amateur-Kasperletheaters für Kinder haben wir ja nun seit 17 Festivaljahren und noch mehr Theaterarbeit gerade in Leipzig kräftig aufgeräumt und Grundlagen für die Bildung einer lokalen Figurentheaterszene geschaffen. Und künstlerische Qualität bleibt Qualität, ganz gleich, für welches Zielpublikum die einzelne Inszenierung nun gemacht ist. Es gibt Inszenierungen für Vierjährige, von denen deren Eltern und Großeltern gleichermaßen begeistert werden - nur umgedreht geht das natürlich nicht immer. Es ist eine so vielfältige und faszinierende Kunst, weil sie multimedial, genreübergreifend ist. In unterschiedlichsten Konstellationen kommen Schauspiel, insbesondere Figuren- und Objektanimation, sehr viel Bildende Kunst, Musik, Film, Literatur etc. zusammen. Im Figurentheater verbinden sich viele Kunst- und Ausdrucksformen, deren Symbiose beherrscht werden muss: vom Autor, vom Regisseur, dem Bühnenbildner, Figurenbauer, Musiker, vom Spieler. Es wird etwas erzählt mit Sprache, Geräuschen, Musik, Gestik, Bildern. Es ist möglich, auf kleinstem Raum Monumentales zu zeigen, mit wenig technischem Aufwand große Wirkung zu erzielen, ein lebloser Gegenstand kann zum Handlungsträger werden, Personen können fliegen, plötzlich verschwinden und so weiter. Man arbeitet viel mehr mit behaupteten Situationen, mit Zeichen und Erinnerungen, schöpft die Intelligenz, Erfahrungen und Gefühle der Zuschauer aus. Die Möglichkeiten, das Publikum zu beteiligen und zu faszinieren, sind unendlich, wenn man es respektiert.
Leipzig-Almanach: Sie selbst inszenieren - wenn meine Wahrnehmung nicht trügt - insbesondere klassische Märchenstoffe. Was haben uns die Gebrüder Grimm, Hauff & Co. heute zu sagen?
Braun: Das sieht momentan so aus, genau. Auch wenn ich einige andere Sachen für das Figurentheater gemacht habe zum Beispiel einen blutigen Krimi für Erwachsene - sind doch die klassischen Märchenvorlagen sehr anregend. Wenn man es schafft, aus den mitunter enorm komprimierten Grimm-Märchen ein Theaterstück mit einer Dauer von einer knappen Stunde zu entwickeln, welches für ein Zielpublikum im Alter von 4 oder 5 Jahren gleichermaßen spannend und vergnüglich ist wie für Erwachsene, dann ist das schon eine irre Sache. Da steckt ja - mitunter in nur einer halben Seite - generationsübergreifende Lebenserfahrung, große Phantasie und sprachliche Schönheit; und ich beschäftige mich nun damit, diese Qualitäten in heutiger Sicht und mit Respekt vor der Intelligenz meines Publikums in eine unterhaltsame und ästhetisch wertvolle Form zu bringen. Man darf nie das Publikum unterschätzen und nie irgendwelche Anbiederungsversuche auf imaginären Ebenen machen. Ich denke da mit Grausen an kitschig-blöde Kindtümeleien, die einen ringsum im Theater, im Fernsehen und sonstwo begegnen und das Publikum für dumm verkaufen. Die Grimms & Co. haben das auch nicht gemacht. Da geht es kräftig zur Sache auf hohem Niveau und ohne spezielle Altersbegrenzung. In meinen Inszenierungen, die oft auch für Kinder geeignet sind, vergnügen sich also gleichfalls die Erwachsenen, die dann häufig in der Überzahl sind.
Leipzig-Almanach: Wenn Sie in knappen Worten sagen müssten, was die Besucher bei globus ‘08 erwartet, wie würden Sie antworten?
Braun: Interessante und zum Teil einmalige Gastspiele mit begabten Künstlern von fern und nah in und um Leipzig. Es geht um Kunst, dazu noch um begreifbare, hörbare, anschauliche. Und da macht es keinen Unterschied, ob das nun nur für erwachsenes Publikum oder auch für Kinder gemacht ist.
(Tobias Prüwer)
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