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Der Kick - Neue Szene (Schauspiel Leipzig)

Brandenburg gilt seit langem als Krisenregion bezüglich des Rechtsradikalismus. 24 Prozent der Brandenburger sehnen sich nach einem neuen Führer. Die Bevölkerung ist unzufrieden. Vor diesem Hintergrund ereignete sich am 12. Juli 2002 ein grausamer Mordfall in dem brandenburgischen Dorf Potzlow.
In dem Theaterstück "Der Kick" in der Neuen Szene des Schauspiels Leipzig wird dieser nochmals rekonstruiert.

Es fängt harmlos an. Die Brüder Marco und Marcel Schönfeld treffen sich am Abend mit ihrem Kumpel Sebastian Fink. Erst neun Tage vorher wurde der 23 jährige Marco aus dem Gefängnis entlassen. Gemeinsam trinkt er mit Marcel und Sebastian zwei Kästen Bier. Sie sind grade erst 17. Auch der 16-jährige Marinus Schöberl schliesst sich ihnen an. Aber weil sich Marinus die Haare blond färbt und HipHopper-Hosen trägt, beginnen die drei Älteren Marinus zu demütigen.
Die Misshandlungen an Marinus gipfeln aufs Grausamste in einem leer stehenden Schweinestall. Und zwar mit dem so genannten "Bordsteinkick": Marinus muss in die Kante eines Futtertroges beißen. Marcel springt auf den Kopf des Wehrlosen. Schließlich erschlagen die Drei Marinus mit einem Betonstein. Sie vergraben den Toten in einer Jauchegrube.
Erst ein halbes Jahr später wird die Leiche gefunden.
Dieser Mordfall am 12. Juli 2002 ereignete sich wirklich.
Der Filmregisseur Andres Veiel und seine Dramaturgin Gesine Schmidt rekonstruieren in ihrem Dokumentarstück den Fall. Das Textmaterial des Stückes haben sie aus Recherchen vor Ort gewonnen. Sie beleuchten die Umstände in Potzlow. Und machen den rechtsradikalen Hintergrund deutlich. Vor allem aber werfen sie Fragen auf. Rational suchen sie nach Gründen für den Mord.
Dabei lassen sie 17 Personen aus dem Dorf zu Wort kommen. Vier Schauspieler wechseln zwischen den Charakteren. So legen beispielsweise die beiden Brüder Marco und Marcel ihr Geständnis auf der Anklagebank ab. Ebenso kommt die Mutter des Opfers zu Wort, die das Geld für die Beerdingung nicht aufbringen kann.
In der Inszenierung wird der Schwerpunkt auf den Text gelegt. Mit ihrer Körpersprache unterstreichen die Schauspieler das Gesprochene. Eine Handlung wird nicht erzählt. Im Vordergrund stehen die Äußerungen der Täter, der Familien und der Bewohner des Dorfes.
Nach und nach ergeben die unterschiedlichen Schilderungen der Verhältnisse in Potzlow ein Gesamtbild: Jeder zweite im Dorf ist arbeitslos. Von den Jugendlichen hat kaum jemand eine Lehrstelle. Aus Langeweile und Perspektivlosigkeit flüchten sich die Kinder und Jugendlichten in den Alkoholismus. Mit dem Trinken steigt auch ihre Gewaltbereitschaft.
Ein anderes Problem ist der zunehmende Rechtsextremismus in Brandenburg. Mit der Wahl rechter Parteien bringen die Bürger ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck. Ein klares rechtsextremistisches Weltbild haben jedoch die Wenigsten.
Die Schuld für diese Missstände schiebt man sich gegenseitig zu. Die Sozialpädagogin im Dorf fragt die Eltern: "Was wisst ihr von euren Kindern?" Und die Eltern fragen zurück: "Warum gelingt es dir nicht unser Kind zu erziehen?"
Nach der Vorstellung bleibt ein flaues Gefühl im Magen. Das überdeckt selbst die Frage, ob ein solches Dokumentarstück nicht eher Hörspielqualitäten hat. Vielmehr zwingt sich dem Zuschauer die inhaltliche Frage auf: Wie kann man solche grausamen Gewalttaten verhindern?

Sarah Trilsch, 28.2.2007


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