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KUNSTJOURNAL
Französische Street-Art-Künstlerin Miss.Tic gestorben.
Sie hinterließ auch in Leipzig ihre Spuren
Quellen: dpa / Jost Braun
Miss.Tic, eine der bekanntesten Street-Art-Künstlerinnen Frankreichs, ist am Sonntag, dem 22.05.2022, im Alter von 66 Jahren gestorben, wie die französische Nachrichtenagentur AFP mit Bezug auf die Familie berichtete.
Die Pochoirs der Künstlerin (mit Schablonen gesprühte Bilder) bildeten meist junge, verführerische und geheimnisvolle Frauenfiguren ab, die sie durch gesellschaftskritische und provozierende Wortspiele verfremdete. Ihre Graffiti-Kunst zierte bereits französische Briefmarken mit Sprüchen wie „Der Mann ist die Vergangenheit der Frau“. Ihren Frauendarstellungen waren oft Texte zugeordnet wie z.B.: „C’est la vie, ça va passer!“ (Das ist das Leben, das geht vorbei!) oder wie auf einer Leipziger Fassade „Auf improvisierten Pfaden entrinnen noch einige Tiger der Dressur des Schönheitskultes“ (*1).
Miss.Tic wurde am 20. Februar 1956 in Paris unter dem bürgerlichen Namen Radhia Jamil als Tochter eines tunesischen Immigranten und einer Französin geboren und wuchs in einem migrantisch geprägten Quartier von Paris am Montmartre auf. Ihre Eltern verstarben früh. Radhia musste die Schule abbrechen und hielt sich mit kleinen Jobs über Wasser. In den 70er Jahren spielte sie Straßentheater und schrieb lyrische Texte.
Bei Aufenthalten in Los Angeles und San Francisco Anfang der 80er Jahre kam sie mit der Hip-Hop-Bewegung und Graffiti in Kontakt und absolvierte bei der Rückkehr nach Frankreich, inspiriert durch die Zusammenarbeit in Paris mit Graffiti-Stencil-Pochoir-Künstlern wie Blek le Rat, eine Ausbildung zur Grafikerin. Seit 1985 sind Radhia de Ruiters Bilder und ihre prägnante Kurzpoesie auf Hausfassaden zu finden. Als Miss.Tic, so signierte sie ihre Werke, gehört sie zu den Street-Art-Künstlerinnen der ersten Stunde und zu den wenigen, die den Sprung in internationale Galerien und Museen schafften.
Miss.Tic gehörte während der öffentlichen Kunstaktion "galerie éphémère" im Atrium der Universität Leipzig und zur "Kunstaktion für Leipzig 1991" im Rahmen der 4. Leipziger Bildermesse zu den anwesenden Künstlern aus Frankreich und Deutschland, die auch Spuren ihrer Kunst auf den Hauswänden der Stadt hinterließen. Einer der Teilnehmer war damals auch Blek le Rat, dessen gesprühte "Leipziger Madonna" vor einigen Jahren an einem Gebäude in der Karl-Liebknecht-Straße wiederentdeckt und unter Denkmalschutz gestellt wurde. Die Auffindung des Wandbildes Anfang 2012 ist einer Leipzigerin zu verdanken, die damals als siebenjähriges Schulkind Zeugin der stadtweiten Straßenkunstaktion war. (*2)
Original-Pochoirs, Fotos, Filme, Editionen und anderes Dokumentationsmaterial zur Kunstaktion für Leipzig 1991 sind im Archiv der Globus Galerie erhalten geblieben. Die Galerie war damals maßgeblich an der Förderung und Organisation der stadtweiten Aktivitäten beteiligt, zu denen neben der Entstehung einer umfangreichen Graffiti-Galerie in der Universität Leipzig auch öffentliche Kunstaktivitäten im Leipziger Stadtgebiet - speziell im Tunnel am Wilhelm-Leuschner-Platz - sowie Ausstellungen in der Globus Galerie sowie kunstpädagogische Kooperationen mit Leipziger Schulen gehörten.
(*1) siehe "STREET ART / Kalender 1993", Edition Lebensretter 1992 sowie "STREET ART" / Mappe mit 10 signierten Original-Fotos, Edition Lebensretter 1992
(*2) siehe Jost Braun "Pochoir - Graffiti. Kunstaktionen in Leipzig, Berlin und Kronach", 22. Jahresschrift für Künstlerbücher und Handpressendrucke, Edition Lebensretter 2013
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