leipzigart  KUNSTJOURNAL



Albert Ostermaier liest
Ein mißlungener literarisch-musikalischer Abend in der Moritzbastei

Weiße Signaltupfer am Straßenrand, in Kneipen und Bibliotheken. Groß ist das Plakat nicht. Freundlich lächelt ein Mann im mittleren Alter von dem Schwarzweißfoto. Unterschrieben ist es mit Albert Ostermaier und der Ankündigung einer Lesung mit musikalischer Begleitung. Polar heißt der neuste Roman.
Eine Lesung? Interessant. Polar? Gut, aber wer ist denn Ostermaier?
Zuallererst ist er Lyriker. Dann Dramatiker. Jetzt erschien ein Roman. Doch er hält sich in allen Texten als Lyriker die Treue. Wie im Rausch jagt er in Zeilensprüngen, ohne Punkt und Komma durch sprachartistische Gedankengänge. Er baut aus Sprache verschlungene Gegenwelten und übersteigert durch Begriffe des Alltagsdrecks die Realität. Selbst rotzige Schimpfwörter fügen sich in die raue, rasend schnelle Poesie ein. Dabei wirkt jeder Satz modern und aktuell. Die Themen und Schauplätze sind aus dem Heute gegriffen, das Tempo, sowie das Nichtvorhandensein von Absätzen oder Satzzeichen, erinnern an das Zappen durch Fernsehkanäle. Jeder Zeile folgt wie im Echo ein kraftvolles Bild, das dann sofort wieder von nächsten starken Wörtern gebrochen wird. So braucht man Zeit diese Dichte zu erfassen und in sich aufnehmen zu können.

Die Stuhlreihen im Kellergewölbe der Moritzbastei sind am Mittwoch erschreckend leer. Kaum jemandem scheint der Name Ostermaier ein Begriff zu sein. Auf der Bühne steht erhaben ein weißes Pult, daneben zwei übereinander gestapelte Lautsprecherboxen. Gleißende Scheinwerfer tauchen den Ort in kühle Helligkeit. Erste Zweifel.
In glänzender Lederjacke und Jeans stellt sich Ostermaier hinter sein Pult. Bert Wrede, sein Musiker, greift zur E-Gitarre.
Nach zehn Minuten bestätigen sich die ersten Zweifel, nach einer halben Stunde versucht man sich allein auf das Schöne zu konzentrieren, am Ende weiß man nicht, was man denken soll.
Es ist kaum möglich den Texten zu folgen, einen roten Faden gibt es nicht. Wahllos werden aus zwei verschiedenen Büchern lyrische Erzählpassagen und reine Lyrik vorgetragen. Später nennt Ostermaier dieses Chaos Spontaneität. Aber dem Zuhörer fehlt die Struktur, um das Gehörte aufnehmen und einordnen zu können. Keine Zeile dieser gigantischen Sprache bleibt in Erinnerung. Pausen gibt es nicht. Weder innerhalb einer Passage, noch zwischen zwei Texten. Einzig im Augenblick, den er einmal zum Trinken aus seiner Plastikflasche benötigt, gönnt er dem Publikum sein Schweigen. Das Tempo ist enorm und man fühlt sich überrannt.
Am sinnfreisten ist die Idee diese Lesung mit Musik zu präsentieren und auf Proben zu verzichten. Man kennt sich eben, wird erläutert. Da braucht man das nicht.
Wäre Ostermaier nicht so ein erfolgreicher Lyriker und Dramatiker, dessen Stücke an Deutschlands größten Bühnen zu sehen sind, könnte er sich diese Arroganz überhaupt nicht leisten. In dem Zusammenspiel stimmt nichts, denn es ist kein Zusammenspiel. Bei jedem der beiden läuft ein eigener Film im Kopf ab und sie spüren die Kunst des anderen nicht.
Wrede spielt einfach seine Akkorde durch und lässt sich treiben. Es ist offensichtlich, dass er dazu keine Lyrik brauchte. Sein laut klickendes Fußpedal, zur Steuerung des Laptops, zieht die Atmosphäre auf banale Weise ins Lächerliche. Mit zu vielen Bewegungen lenkt er die Aufmerksamkeit auf technische Nichtigkeiten.
Ostermaier bliebt ihm aber nichts schuldig. Auch ihm gelingt es nicht die Melodik seiner eigenen Dichtung herauszustellen. Durch die fehlenden Pausen entzieht er Kurzdialogen den Sinn und mit seiner selbstgefälligen Vortragsweise entwertet er das eigene Werk.
Unzählige Gestaltungsmöglichkeiten dieses literarisch-musikalischen Abends werden nicht genutzt. Einzeln mögen Wrede und Ostermaier hochtalentiert sein, gemeinsam sind sie aber nicht fähig sich dem Schaffen eines anderen Künstlers zu öffnen und dessen Gedanken mit den eigenen zu etwas Neuen zu verbinden.
Das also ist Ostermaier? Nein. Das ist nur die Realität. Das hat nichts zu bedeuten. Vielleicht ist es besser, sich in dieser Sprachkunst in Gegenwelten treiben zu lassen und den Abend einfach schnell zu vergessen.

Sarah Trilsch, 2.11.2006

zum Inhaltsverzeichnis