leipzigart  KUNSTJOURNAL





Der in Leipzig geborene Graphiker und Bühnenbildner Volker Pfüller ist am 23. Oktober 2020 gestorben.
leipzigart veröffentlicht zu diesem traurigen Anlaß aus dem Archiv der Dramaturgin und Publizistin Anne Braun einen Artikel über Volker Pfüller aus dem Jahr 1983

Bild und Szene

Anne Braun
Auskunft über Volker Pfüller

»Zar Wasserwirbel fährt Trabant« ist dieser Tage wieder erschienen, ein heiteres Kinderbuch, das Lust auf Theater macht und auch für Erwachsene interessant und vergnüglich ist. Es war 1982 beim Verlag Junge Welt sofort vergriffen und wurde auf der »iba« in Leipzig unter den »Schönsten« vorgestellt. Fred Reinke (Text) und Volker Pfüller (Illustrationen) erzählen, wie eine Inszenierung entsteht und was in den Werkstätten und hinter den Kulissen geschehen muß, damit die Schauspieler allabendlich auftreten können. In lockeren, frechen, doch sehr genauen Zeichnungen erschließt Volker Pfüller eine lebendige, faszinierende Welt, die ohne Techniker, Requisiteur, Maskenbildner, Inspizient und viele andere gar nicht funktionieren würde. Auf einem dem Buch beigelegten bunten Bilderbogen stellt er sogar eine perfekte technische Bühneneinrichtung vor, mit Rundhorizont, Schnürboden, Beleuchterbrücke, Prospekten und Maschinen, vergißt auch nicht die bei jeder Aufführung anwesende gestrenge Feuerwehr.

Pfüller kennt sich aus im Metier, seit ihn 1967 sein ehemaliger Kommilitone, der Potsdamer Bühnenbildner Jürgen Heidenreich, für eine Mitarbeit an Garcia Lorcas »Doña Rosita bleibt ledig« gewann und ihm auch »technische Tricks« beibrachte.

Pfüllers Illustrationen zum »Zar Wasserwirbel« bieten allen, die an Berliner Bühnen, insbesondere am Deutschen Theater heimisch sind, einen Extraspaß. Sie entdecken den Künstler selbst, vor einem Bühnenbildmodell sitzend, erkennen Uschi Fiedler in ihrem Souffleurkasten, den Regisseur Friedo Solter und den Dramaturgen Helmut Rabe, Kollegen aus dem Malsaal und von der Technik, schließlich in der detailgetreu dargestellten Kascheurwerkstatt Eddi Fischer, den weltberühmten Drachenbauer. In Bilder von Foyer und dichtbesetztem Zuschauerraum hat Pfüller seine Frau und seine kleinen Söhne eingeschmuggelt.

Die beiden Jungen waren noch nicht geboren, als ich ihm zum ersten Mal begegnete. Damals kannte ich nur Weniges von ihm. Seitdem bin ich mit Volker Pfüllers Arbeiten - in Ausstellungen und im Theater - oft konfrontiert und vertraut geworden, habe ihn als profilierten Künstler, unter Kollegen und Freunden als ausgeglichen, anregend und zuverlässig schätzen gelernt. Bei Pfüller weiß man woran man ist. Er ist nicht geneigt, Kompromisse einzugehen, und diese Haltung spiegelt sich in allem, was er tut, auf kluge und phantasievolle Weise wider.

Er arbeitet in zwei verschiedenen, scheinbar gegensätzlichen Berufen, die er aufs glücklichste zu vereinen versteht: Er ist Gebrauchsgrafiker und Bühnenbildner. Bei ihm ergänzt, bereichert das eine Genre das andere. Beide erfordern, sich einem bestimmten Sujet neu zu stellen, sich intensiv mit ihm auseinanderzusetzen. Das künstlerische Ergebnis muß Signale auslösen, sinnfällig und wirkungsvoll sein, das Publikum erreichen.

Volker Pfüller hat viele Schutzumschläge, Bücher und Programmhefte illustriert und gestaltet, entwarf Plakate zu den verschiedensten Anlässen, Bühnenbilder und Figurinen zu inzwischen fast zwanzig Theaterinszenierungen. Er war auf nationalen und internationalen Plakat-, Buchkunst- und Bühnenbildausstellungen vertreten, erwarb als Gebrauchsgrafiker Anerkennung und Auszeichnungen und zählt zu den besten Bühnenbildnern unseres Landes. Nicht erst seit seiner produktiven Partnerschaft mit Regisseur Alexander Lang am Deutschen Theater, doch seitdem andere Möglichkeiten, neue Dimensionen gewinnend.



Pfüller brachte in realistischen Ausstattungen, wie zu Rosenows »Kater Lampe« (Volksbühne) und Hauptmanns »Die Ratten«, mit Akribie das soziale Umfeld, enge und bedrückende Lebensräume von Menschen auf die Bühne. Für andere Stücke hat er Bildlosungen gefunden, die, leicht verwandelbar, szenische Vorgänge deutlich machen und unterstützen zum, Beispiel für Baierls »Der lange Weg zu Lenin« und Dworezkis »Der Mann von draußen« (alle am Deutschen Theater), ein Stück, das wenig Technik erforderte und sogar in Werkhallen gespielt werden konnte.

Als Alexander Lang kürzlich eine Theatergrafik-Ausstellung Pfüllers in der Berliner Galerie im Turm freundschaftlich eröffnete, sagte er angesichts der ihm bisher unbekannten Arrangementzeichnungen zu »Woyzeck« habe er Lust bekommen, das Büchner-Fragment einmal mit Pfüller zu machen. Die ausgestellten Zeichnungen entstanden zu Ulrich Engelmanns Inszenierung 1975 in Meiningen, einem Theatererlebnis - mit Hermann Beyer in der Titelrolle - das sich mir bildhaft eingeprägt hat. Pfüller bezog sich auf Büchner, der vom Unsicheren des Bodens, von einem Himmel, der auf den Kopf fällt, schreibt und den Rhythmus einer raschen, ineinandergehenden Szenenfolge vorgibt. Ein weißer Plafond lag lastend über Zuschauer- und Spielraum, die Bühne war mit einem schwarzen, lockeren Bodentuch ausgeschlagen, bestreut mit Kieselsteinen, die bei heftigen Gängen aufspritzten.

Die Figuren spielten in dieser öden Landschaft. Nur Maries Kammer erschien als Zufluchtsort, als Insel, um die Woyzeck ringt und die ihm genommen wird. Die Aktionen im leeren Raum vermittelten den Eindruck des Ausgeliefert- und Verlorenseins menschlicher Kreaturen. Für Arrangements und Kostüme verwendete Pfüller Elemente und Details aus der Biedermeier-, der Büchnerzeit. Stellte das Verspielt-Gefällige in die harte Realität sozialer Gegensätze und Kämpfe. Knappe, pointierte Szenen, die sich ohne Exposition auf eine Sache beziehen, jetzt auch in »Dantons Tod«. Auch hier wieder das Prinzip, den Fluß der Handlung nicht durch Schauplatz-Umbauten zu stoppen. Wer Alexander Langs faszinierende Inszenierung erlebt hat, erinnert sich der Verwandlungsfähigkeit der Darsteller, ihrer präzisen, aktionsreichen und ausdrucksstarken Spielweise, die sich in Pfüllers unaufdringlich wirkungsvollem Raum lebendig und bildhaft herstellt. Jeder spielt mehrere Rollen, Christian Grashof Danton und Robespierre. Das geschieht auf der Bühne und in einem asymmetrisch auf die Bühne gestellten Kaspertheater, in dem die Figuren silhouettenhaft, verdeckt, als Porträt oder Bildausschnitt in Erscheinung treten. Für diese Ausstattung benutzte Pfüller nur Rot, Schwarz und Weiß, eine optische Härte, die durch raumverändernde Lichteinwirkungen mitunter gebrochen wird und einen unbeschreibbaren Schmelz ausstrahlt.

Weder eilfertige Vielseitigkeit noch ein Hang zum Dekorativen, Gefälligen bestimmen Pfüllers Kunst. Sie beruht auf einem Empfinden für das Wahrhaftige, erwuchs aus Lebenserfahrungen, einer fundierten Kenntnis der Dinge und Situationen die er mitteilen, aus seiner Sicht begreifbar machen will. Pfüllers grafische Handschrift ist eher spröde als flüssig zu nennen, seine Farbtöne sind entweder kontrastreich oder gebrochen, seine Geschöpfe alles andere als Idealgestalten, in Haltung und Gebärde charakteristisch für jeweilige Befindlichkeiten.

Piperkarckas Kind, auf seinem Plakat zu den »Ratten« am Rande einer aufgeputzten, geschäftigen Gesellschaft dargestellt, ist kein niedliches Baby, sondern eine Kreatur ohne Zukunft, erbarmungslos Armut und Kälte ausgeliefert. In den Porträts des größenwahnsinnigen Friseurs und seiner Komplizen - zu Ernst Tollers »Der entfesselte Wotan« - wird das Schäbige und Gefährliche dieser Leute entlarvt, die fatal an gestrige und wiederauferstandene Welteroberer erinnern.

Hart, satirisch überspitzt, manchmal voller Ironie oder ästhetischer Schönheit und Strenge, verweisen Pfüllers Bildfindungen auf Wesentliches, dabei erreicht er beim Publikum nicht vorauszuberechnende Reaktionen. Das kann Ablehnung sein oder Zustimmung, kann Bekanntes bestätigen, Aufmerksamkeit erwecken, im besten Falle Assoziationen auslösen und neue Einsichten vermitteln.

In der Theatergrafik offenbart sich der ganze Pfüller. Er schafft Räume, Lebensbereiche für Menschen, tastet sich allmählich an eine Zeit, eine Geschichte heran. Seine Figuren, zunächst nur angedeutet, gewinnen im Laufe der Zeit Konturen und Gesicht, fügen sich zu plastischen, bildhaften Arrangements. Was zur Selbstverständigung und zur Verständigung mit dem Regisseur, den Schauspielern und der Technik diente, führt - über den grafischen Reiz hinaus - ein spannungsreiches Eigenleben und dokumentiert gleichzeitig das Prozeßhafte der Theaterarbeit und wie sie sich verdichtet, auf den Punkt gebracht wird.

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Volker Pfüller, geboren 1939 in Leipzig, studierte von 1958 bis 1960 an der Fachschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Oberschöneweide, von 1960 bis 1965 an der Kunsthochschule Berlin. Seit 1965 lebt er als freischaffender Grafiker und Bühnenbildner in Berlin.

Volker Pfüller ist als Illustrator, Buch- und Plakatgestalter tätig und arbeitet als Bühnenbildner
bisher in Berlin (Volksbühne, Deutsches Theater, Das Ei), in Dresden, Frankfurt/Oder, Karl-Marx-Stadt, Meiningen, Potsdam, Rostock und Zwickau.

Seit 1978 hat Pfüller einen Lehrauftrag an der Kunsthochschule Berlin.

Die Inszenierung des Deutschen Theaters von Büchners »Dantons Tod« (Regie Lang, Ausstattung Pfüller) wurde 1982 auf der Bitef, einem internationalen Theaterfestival, mit dem 1. Preis gewürdigt und galt beim »Theatre des Nations« in Sofia als großes theatralisches Ereignis.

Personalausstellungen 1975, 1980, 1982 in Berlin, Beteiligung an zahlreichen Ausstellungen in der DDR und im Ausland, gegenwärtig mit Theatergrafik an der IX. Kunstausstellung in Dresden.


(
Wochenpost 6/83)




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