leipzigart KUNSTJOURNAL
"CREAM" - Die Ausstellung im Buch?
Der Londoner Phaidon Verlag präsentiert 100x junge zeitgenössische Kunst via 10 Kuratoren
Seit einigen Jahren etabliert sich das Berufsbild des Ausstellungskünstlers ganz massiv, gern und bedeutungsvoll auch als freier Kurator bezeichnet. Zwischen ambitionierten Projekten und Institutionen irrlichternd, wurde diese Entwicklung gewiß durch Vorväter vom Format eines Harald Szeemann inspiriert. Während Szeemann, wie in Projekten wie "Der Hang zum Gesamtkunstwerk" (Zürich 1983) deutlich wurde, noch auf einen beeindruckenden kultur- und kunstgeschichtlichen Hintergrund verweisen kann, spielt derlei Ballast bei der Inthronisation heutiger (und hipper) KuratorInnen keine allzugroße Rolle mehr. Schon lieber hat man intellektuelle Selfmademen und quereingestiegene Poeten mit wirksamer Biographie wie Hans-Ulrich Obrist, Okwui Enwezor oder Carlos Basualdo. Feste Museumsanbindung, wenn auch nicht ganz wegzudenken, ist eher ein Klotz am Bein der alerten Kosmopoliten und Kunstvermittler. Und tatsächlich liebt es so manches Museum, sich zeitweise mit fremdkuratierten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst zu schmücken und so mit dem sogenannten Zeitgeist auf gleicher Höhe zu bleiben. Während also Institutionen in finanzieller und bürokratischer Hinsicht fatal von Erstarrung bedroht sind und diese qua Frischblut aufzuweichen trachten, richten die umtriebigen freien Kuratoren schon gerne mal eine gesicherte Museumsausstellung aus und halten sich ein Plätzchen warm für jene Zeiten, da sie des ewig nach Innovation schreienden Wanderlebens müde sind. Ein fruchtbarer Kreislauf, der beide Seiten mit dem notwendigen Prestige versorgt und vor allem den Ausstellungsmachern ihren wichtigen alternativen und exotischen Status garantiert. So werden auch letztere mittlerweile als die unbedingte Autorität angesehen, wenn es um das Aufspüren von Trends geht - und umgekehrt: auch wenn es um das Setzen von Trends geht, ist man bei ihnen (und bei Charles Saatchi natürlich) nicht an der falschen Adresse.
10 von ihnen, teils bereits an Institutionen gebunden, teils von Auftrag zu Eigenprojekt pendelnd, lud der ehrgeizige Londoner Phaidon Verlag (seit kurzem auch in New York) 1998 zwischen zwei pinkfarbene Paperback-Buchdeckel ein und nannte das Ganze dann "Cream". Ende letzten Jahres hatte "Cream" weltweit Buchpremieren, die von heftigem Publicity-Wirbel um die "Ausstellung im Buch" (Gilda Williams, Initiatorin & Herausgeberin) begleitet war. Um die unglaubliche Bandbreite des Werkes "10 curators. 10 writers. 100 artists" zu demonstrieren, verlas Williams zur New Yorker Premiere kurz eine Sequenz aus dem Index unter D wie: David, Catherine; Darwin, Charles; Dean, Tacita; Deleuze, Gilles; Diana, Princess of Wales; Dickens, Charles..." etc. Wo ein Name den anderen derartig zu adeln vermag, kann nur Qualität lauern. Bevor im Buch dann allerdings die 10 KuratorInnen ihre Auswahl von jeweils einer/m AutorIn und 10 jungen, zeitgenössischen KünstlerInnen vorstellen dürfen, kommen sie selbst noch einmal zu Wort. Eine "Konversation im Internet" (was natürlich interessanter klingt als brieflicher Austausch von Meinungen, nichts anderes aber ist) zum Thema: "Wer ist das Publikum für zeitgenössische Kunst...?" gipfelt in der Bemerkung des Kurators Hou Hanru: "Wir sollten nicht fragen, wer das Publikum zeitgenössischer Kunst ist, sondern einfach ein solches Publikum herstellen." Im Umkehrschluß auf "Cream" bezogen, könnte das schlicht aggressive Vermarktung heißen. Wo kein Bedürfnis ist, ist ein solches zu erzeugen.
Das kiloschwere Buch selbst jedoch zeigt erneut, daß sich gerade aktuelle Kunst ein breites Publikum zu generieren weiß. Die Verschmelzung von Medien, z.B. konzeptuelle Klanginstallation mit elektronischer Musik, Computergraphik mit Internetprojekten, Skulptur mit Video und Projektion, Objektkunst mit Design weicht Grenzbereiche sowohl zwischen Interessentenkreisen als auch zwischen den KünstlerInnen selbst auf. Diese Vielfalt weltweit zu erkennen und zusammenzutragen, ist den glorreichen Zehn in der Tat gelungen.
Was von Anfang an nicht gelingen konnte, war, auch nur ansatzweise die sinnliche Komponente einer realen Ausstellung zu erfüllen. Was enstehen mußte, ist bestenfalls ein gut illustriertes Nachschlagewerk mit einer Halbwertszeit von, optimistisch gesagt, 5-10 Jahren Gültigkeit in puncto aktueller Kunst, das bestimmte Tendenzen vermittelt. Sicherlich wird Documenta-XI-Macher Enwezor hier schon einen kleinen Vorgeschmack auf seine zu erwartende Auswahl gegeben haben; Dan Cameron vom New Museum of Contemporary Art (New York) bekannte frank und frei, er habe Künstler ausgewählt, über die er schon lange einmal habe schreiben wollen und vom Briten Matthew Higgs ist bekannt, daß er kaum reist und daher englische Künstler favorisiert. Soweit, so erwartungsgemäß subjektiv und possierlich. Warum uns freilich das Kompendium glauben machen will, jenseits des einstigen Eisernen Vorhangs gäbe es weder bemerkenswerte junge Kunst noch Kuratoren derselben, bleibt ein Rätsel. Ein ganzer Weltteil wird fast akribisch ausgespart, wo man sich doch sonst so um Quoten und politisch-kulturelle Korrektheit sorgt. Die Globalisierung, von der in der einleitenden Internetkonversation immer wieder die Rede ist, gelangt an ihre Grenzen. Aber da das ebenso eindrucksvolle wie unhandliche Buch nirgends einen globalen Anspruch konstatiert, sondern nur den weitgefaßten "einer Ausstellung in einem Buch", wird dieser Vorwurf sogleich entkräftet. Einsichtige und kurze Texte, die das Buch sowohl für Kunstlaien als auch für des Englischen weniger Mächtige verständlich machen, erinnern an die diskrete Didaktik einer gutgemachten Ausstellung. Als Lesehaltung ist unbedingt eine halbliegende Position mit angewinkelten Knien zu empfehlen. Wiewohl Einband und Format ein ubertriebenes Querformat versprechen, entrollt sich im Inneren der Schriftsatz längs und macht nach oder vor Bildgenuß jeweils eine Drehung um 90° nötig - keine leichte Aufgabe bei dem Gewicht von "Cream", das, wie "die tageszeitung" (Berlin) bemerkte, vielleicht doch eher ein Buchobjekt sein soll.
Womit sich der Kreis wieder geschlossen hätte, denn gemäß ihrem Selbstbild, produzieren AusstellungskünstlerInnen nicht einfach ein Buch mit Kunst darinnen, sondern verkunsten das Kunstbuch (oder so ähnlich).
Susanne Altmann
Phaidon London 1998, DM 94, ISBN 0 7148 3801 2
Teilnehmende KuratorInnen: Carlos Basualdo, Francesco Bonami, Dan Cameron, Okwui Enwezor, Matthew Higgs, Hou Hanru, Susan Kandel, Rosa Martinez, Åsa Nacking, Hans-Ulrich Obrist