leipzigart KUNSTJOURNAL
Von Worten und von Weisen
Unerschöpflich: die Sammlung Speck im Albertinum Dresden
Teil II
Es ist ja nicht das erste Mal, dass Arbeiten von Joseph Beuys mit denen von Caspar David Friedrich in zumindest geistigen Bezug gesetzt werden. Dass es vor Ort und ganz real geschieht, ist eher die Ausnahme. Als der umstrittene Kunsttheoretiker Bazon Brock in den 70ern feststellte, erst Traditionsbezug erhebe Avantgarde zur solchen, wies er auf Beuys' Bündel von dürren Stämmen hin, die schützend in eine Filzbahn gerollt waren. Und mit Friedrichs »Hünengrab im Schnee« (1807) oder sonstigen Winterlandschaften vor unserem inneren Auge wird klar, dass Beuys in seinen stärksten, also am wenigsten missionarischen Werken diese fragile Vergänglichkeitsaura der Romantik beschwören konnte. Im Albertinum finden wir mit Beuys' Arbeit »Mensch«, die unausgesprochen auch »O Mensch« heissen könnte, das stumme Notruftelefon mit Geröll. Uns wendend, blicken wir auf das »Kreuz im Gebirge« und plötzlich steht die drahtlose Verbindung.
Wohl selten gelingt es einer Museumsausstellung, eine derart stille, gleichviel zwingende Lesbarkeit herzustellen. Und wenn auch an diesem zweiten Ausstellungsort der Sammlung Speck der literarische Aspekt ein wenig zurücktritt, so gelingt etwas anderes. Die Einblendung der Speckschen Exponate in ein Museum mit relativ festen Strukturen ist von Lawrence Weiners Anti-Menetekel »Learn to Read Art« mit Rodins "Denker« im Eingang über Carl Andres Bodenarbeit bis zu Beuys so folgerichtig, dass der ultimative Seufzer des Goethejahrs sich aufdrängt:»Verweile doch...«.
Das wird leider nicht eintreten, denn ab 22.August kehren die Schätze wieder in des Sammlers Hort zurück. Reiner Speck kann dann weiter überlegen, welches seiner Cy Twombly Werke er mit auf das universelle einsame Eiland nehmen würde. Und dass es ein Twombly und kein Polke sein würde, hat der Sammler bereits in einem Interview kundgetan: »Twombly, weil man, was die Lesbarkeit anbelangt, nie ans Ende kommt.« Nun sind wir doch schon wieder bei der Zeichnung als einem offenen Buch angelangt. Sicher liefert das teils sehr farbenfrohe Polke-Spektakel im mittleren Raum der Präsentation mit der »Telepathischen Sitzung« (Sender: William Blake, Empfänger: Sigmar Polke)literarischen Stoff.
Auf der Schwelle zum nächsten Gemach verstehen wir jedoch, warum Speck der Farbigkeit nicht bedingungslos traut: Sie verschleisse das Sehen. Also das bunte Bilderbuch zugeschlagen und weiter in die nächste Tür, über der im Grunde jene philosophische Initiation stehen müsste, die angeblich das Tor zu Platos Akademie zierte: Einlass erlange hier nur, wer Geometer sei. Ob Walter De Maria, Carl Andre oder Cy Twombly - jeder dieser drei amerikanischen Künstler einer Generation bietet seinen eigenen Bezug zur Tradition, die, weil antik, viel weiter zurückliegt als die Romantik. Geometrie steht aus dieser Perspektive der Mathematik mindestens ebenso nahe wie der Poesie. Und wäre es nur dieser Raum allein, des Schauens wäre genug und die ferne Insel sehr nah. Die Näherung freilich gebietet einiges an Geduld und Langsamkeit.
Brocks gewagte These über Wert und Nutzen der Avantgarde wirkt nun immer weniger absurd, wenn wir Twomblys Zeichnungen sehen, umflort von vorplatonischen Mythen und von den Lüften seiner Wahlheimat Italien. Durs Grünbeins mythologisch inspirierter Text im Begleitbuch »Wort und Weise« öffnet hier zusätzliche Räume und Bezüge. Ein Schriftzug , entzifferbar wie selten, (Seite an Seite mit pseudokalligraphischen Phantasien): »Plato« öffnet das Tor zur Ratio. Dass diese Vernunft und ihre systematischen Grundformen keineswegs trist und unerreichbar sein müssen, zeigen Walter De Marias geometrische Urbilder. Auf der Schwelle zwischen Sichtbarkeit und Verschwinden stehen diese Zeichnungen für die archaische Ansicht, dass Geometrie und Zahl der Welt zugrunde lägen, sei es in Natur oder Menschenwerk. Und der heroische Versuch der US-LandArt (deren bekanntester Vertreter De Maria mit seinen Earth Rooms, Vertical Earth Kilometer, The Lightning Field ist), rationale Strukturen in Landschaften zu implantieren, erhellt sich von selbst. Carl Andres unvermeidliche Metallplatten kommen einmal nicht wie das »Muss« einer ordentlichen Kollektion daher, sondern stehen für die gemeinsame Wurzel von Konzeptualismus, Minimal Art und ihren Verästelungen. Natürlich, diese Ausstellung gibt Nachhilfeunterricht in (post)moderner Kunst, doch wie diskret! Das einzig Elitäre an ihr wäre vielleicht die Einsicht, dass Reiner Speck recht hat, wenn er sagt, Vorkenntnis erhöhe den Genuss.
Susanne Altmann
Bis 22.8. in Dresden: Albertinum, Residenzschloss, Hauskapelle Taschenbergpalais. Literarisches Begleitbuch für DM 39 (DuMont). Mit Beiträgen von Petrarca, Huxley, Grünbein, Celan, Proust, Beyer