leipzigart KUNSTJOURNAL
Versuchsballon
»Herbstsalon 2000« im Neuen Sächsischen
Kunstverein
Die Absicht ist löblich, zweifellos - besonders vor dem Hintergrund der öden Galerienlandschaft hat der Neue Sächsische Kunstverein seine Verantwortung erkannt, nämlich jene für junge Kunst.
Was der Kunsthochschule stets lieb und teuer war, in schöner Tradition des 19. Jahrhunderts, wird nun auch für KünstlerInnen installiert, hinter denen sich die Pforten der Akademie zumeist geschlossen haben: ein Salon. Hier weht der Atem der Kunstgeschichte und er riecht ein bisschen nach Vin Rouge und Skandalen, zumal das Ganze im Herbst stattfindet. Wir erinnern uns gelegentlich der Pariser Herbstsalons und der avantgardistischen Salons der »Unabhängigen« oder der »Zurückgewiesenen«. Letztere würden wir heute glatt als Gegenkultur bezeichnen. Anders als beim »Herbstsalon 2000«, wo drei Kuratoren (Marcus Lilge für Dresden, Osmar Osten für Chemnitz, Helmut Stephan für Leipzig) walten, reichte damals die gesamte Künstlerschaft nach eigenem Ermessen Werke ein. Bisweilen lösten diese schon im Vorfeld Spannung aus: Wie würden die neuesten Monumental-Leinwände von Delacroix, Gericault oder Ingres ausfallen? Eine Jury akzeptierte dann oder eben nicht, wie 1863 das sittenlose »Frühstück im Freien« von Edouard Manet. Nicht alle »Refüsierten« mögen große Kunst geschaffen haben, doch schließlich fanden sich die französischen Impressionisten 1874 aus Groll über eine abschlägige Entscheidung des konservativen Gremiums erstmalig in einer Gegenausstellung unter ihrem künftigen Markennamen zusammen.
Die Zeiten der Entrüstung liegen freilich lange zurück und so darf sich ein Salon unserer Tage ganz bescheiden freuen, wenn ihm nur einige Aufmerksamkeit zuteil wird. Tatsächlich fehlen periodische Bestandsaufnahmen dessen, was sich in den sächsischen Ateliers zuträgt. Wie gut haben es doch die Studierenden, die sich jährlich in einem Frühlingssalon präsentieren! Schon von daher sollten uns die Kriterien für derlei Rundumschläge bekannt sein oder besser noch, man hat eine vage Ahnung von der gewaltigen und mehr nach Quantitätskriterien untergebrachten Menge an Bildwerken in den einstigen Pariser oder Berliner Salons. Insofern diszipliniere vorab sein Urteil, wer eine sorgfältige komponierte Gruppenschau erwartet, bei der eine jegliche Arbeit zu ihrer Aufmerksamkeit käme! In einem Salon werden Bilder gestapelt und einmal mehr, wenn die Räumlichkeit eine so problematische wie die des Kunstvereins ist.
Doch wenn die prägnante, auf Leuchtwirkung basierende Installation »Lichtlauf I« des Leipzigers Arne Reinhardt zwischen einer Landschaft von Jörg Burzinski und einem nur halbherzig verdunkelten Fenster klemmt, noch knapp von einer Holzplastik von Jörg Seifert flankiert, dann geht dem Wohlwollen schon mal der Atem aus. Abstrakte, teils sehr farbbetonte Kompositionen von Hans Aichinger und Uwe Mühlberg verlieren in den schmalen Räumen zwischen den Fenstern ihre Strahlkraft - hier ist Erscheinen nach Einbruch der Dämmerung ratsam. Gegenüber, gut ausgewählt und platziert, erfreut sich eine Fotoarbeit von Bertram Kober eines glücklichen Nischendaseins. Von den beiden Protagonisten der Arbeit »Behavior« besticht die anmutig und versunken auf einer Brache tanzende Greisin im Kontrast zu dem dynamischen Helden im blauen Trainingsanzug. Den schmalen Durchgang zu den Garderoben teilen sich wieder, einigermaßen zusammenhanglos, das Regalobjekt »Time 2000« von Georg Dick (das sich mit der seit »Deep Storage« etwas überstrapazierten Archividee beschäftigt), ein weitere Holzplastik von Seifert sowie die comicartigen Folgen »Partnerwahl« von Katja Schwalenberg.
Und wieder erinnern wir uns der Zeitzeugenberichte des 19. Jahrhunderts, wo die Suche nach guter Kunst oft erst im dunkelsten Raum, in Decken oder Fußbodennähe erfolgreich war. Zum Salon gehört wohl die Mühe des Betrachters und ein gewisses Abstraktionsvermögen, das über Raum und widrige Umstände hinauskatapultiert. Letzteres ist noch einmal gefragt in der Reihung der Arbeiten von Sophia Schama, Jörg Burzinski und Eberhard Havekost. Havekosts Lithograhiezyklus »Snow Lounge« hebt sich, schon wegen seiner formalen Geschlossenheit mühelos und sehr dominant hervor; überrascht mit einem äußerst delikaten Inkarnat, das die maskenhafte Erstarrung der Porträts zum Leuchten bringt und den Offset-Steindruck als adäquates Medium ausweist. Von Sophia Schama hätten (nach »4,8« im Leonhardi-Museum und »Fatbob« im bfk) gut und gerne Arbeiten neueren Datums gezeigt werden können - auch das muss Anliegen eines Salons sein. Und Jörg Burzinskis dichte, collagenartige Landschaftsfiktionen hätten eine weniger strukturierte Nachbarschaft verdient, jenen in einem Salon nicht (wirklich nicht?) einlösbaren Freiraum. In dieser Hinsicht sehr günstig angeordnet erscheinen die Fotografien von David Adam - mit Mut zur stillen Ästhetik, sparsam und symbolhaft von einer versinkenden Ordnung der Dinge sprechend.
Mit einem Tisch, dessen Streifendecke zum Wahnsinn treibt und an die außer Kontrolle geratenen Haushalte des Fotografenpaares Blume erinnert, meldet sich Sebastian Hempel nach einem längeren Aufenthalt in London zurück - ein angenehmes vielversprechendes Wiedersehen, das der Salon bzw. Kurator und Kollege Marcus Lilge da ermöglichte. Die ebenfalls in den Raum komponierte Soundinstallation »Bonsaisound II« von Frank Patitz orientiert sich im skulpturalen Gestus der zarten Eierschalen gewiss an Robin Minard oder Rolf Julius, wirkt in der Ausführung und auf einem merkwürdigen Mehrzweckgestell dann leider ein wenig unfertig.
Was ist die Botschaft dieser larmoyanten Zeilen? Sie könnte heißen: Bitte nicht aufgeben! Aber sie heißt auch, dass sich Sehverhalten und Anspruch an einen Salon über 150 Jahre an unzähligen Gemeinschaftsausstellungen geschult haben und ein solcher im Jahr 2000 weder auf eine Tradition noch auf den guten Willen der BetrachterInnen vertrauen kann und sich an zeitgenössischen Erfahrungen messen lassen muss; zumal, wenn Handlungsort ein kompliziert zu bespielender Galerieraum ist. Der Versuchsballon hat eine gewisse Arbeitshöhe erreicht, Steigerungen sind möglich.
Susanne Altmann
Station Dresden bis 25.11., Termine und Ausstellungsorte für Chemnitz und Leipzig will der Neue Sächsische Kunstverein zu gegebener Zeit auf seiner Website veröffentlichen.